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■ Aufhebung des Todesurteils gegen Dietrich Bonhoeffer?Eine peinliche Alibiveranstaltung

Jenseits aller toten Erinnerungskultur an die „Männer des deutschen Widerstandes“ ist Dietrich Bonhoeffer ein überaus lebendiger Unruhestifter geblieben. Sein Entscheid, Christus mehr zu gehorchen als der Obrigkeit, seine Parteinahme für die „Erniedrigten und Vergewaltigten“, sein Einverständnis, den Tyrannen Hitler notfalls zu töten – all das hat ihm bis heute die Bewunderung derer eingetragen, die das Unrecht nicht nur kontemplativ beklagen wollen. Er braucht kein Heiligenpodest, erst recht braucht er kein Urteil des Landgerichts Berlin, das das Todesurteil des SS-Standgerichts vom 9.April 1945 gegen ihn kassiert – möglichst noch pünktlich zum 20.Juli.

Man muß nur einen Augenblick lang von den juristischen Finessen, die dieses Aufhebungsverfahren umgeben, Abstand gewinnen, um das Peinliche des ganzen Vorgangs zu sehen. Offenbar wünscht sich unsere Justiz eine Alibiveranstaltung, die den Freispruch des Bonhoeffer-Richters Thorbeck durch den Bundesgerichtshof (BGH) im Jahre 1956 ungeschehen machen soll. Damals hatte der BGH geurteilt: „Einem Richter, der einen Widerstandskämpfer wegen seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung abzuurteilen hatte und ihn in einem einwandfreien Verfahren für überführt erachtete, kann heute in strafrechtlicher Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden, (...) wenn er glaubte, ihn des Hoch- und Landesverrats schuldig erkennen zu müssen.“

In einem jüngst ergangenen Urteil hat der BGH harte Worte für die höchstrichterliche Urteilspraxis der 50er Jahre gegenüber Nazi-Richtern gefunden. Eine billige Selbstkritik, denn die Rechtsprechung des selben Gerichts gegenüber den schrecklichen Juristen der DDR-Justiz läßt kaum die Möglichkeit zu, sie wegen Rechtsbeugung zu verurteilen.

Dabei gäbe es für unsere Gesetzgeber einen sehr einfachen Weg, aus den Unterlassungen der Vergangenheit zu lernen. Der Bundestag müßte sich nur entschließen, den Vorbehalt aufzuheben, mit dem er im Jahre 1953 die Europäische Menschenrechtskonvention ratifizierte. Der Vorbehalt betrifft den Artikel7, Absatz2, in dem es heißt, daß die Verurteilung für eine Tat nicht ausgeschlossen werden darf, „welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen, von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war“. Christian Semler

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