Militärgericht verhängt ein sehr mildes Urteil

■ Russische Journalistin aus Versehen erschossen. Ehemann legt Berufung ein

Moskau (taz) – „Ich fordere nicht den Kopf des Schützen Fedotow“, sagte gestern in Moskau der deutsche Korrespondent Gisbert Mrozek, „aber dieses Urteil bedeutet grünes Licht für Morde an Journalisten.“ Er sprach über jenen jungen Soldaten, der am 17. Juni vorigen Jahres in Tschetschenien seine Frau, Natalja Aljakina, mit einem Maschinengewehr aus einem Schützenpanzer heraus getötet hatte.

Ein Militärgericht im südrussischen Pjatigorsk hatte den jungen Mann am Dienstag zu zwei Jahren mit Bewährung verurteilt, wegen „leichtsinnigen Umgangs mit der Waffe“. Natalja Aljakina (damals 40) und ihr Mann, beide Korrespondenten der deutschen Rundfunk-Nachrichtenagentur Rufa und der Zeitschrift Focus, befanden sich auf dem Weg zur ebenfalls in Südrußland gelegenen Stadt Budjonnowsk, wo tschetschenische Terroristen ein Krankenhaus voller Geiseln bedrohten. An einem russischen Militärposten wurden die JournalistInnen angehalten und kontrolliert. Man wünschte ihnen noch „gute Reise“. Bei der Weiterfahrt wurden sie dann vom selben Posten aus beschossen. Natascha traf eine Kugel im Genick.

„Ich verstehe, daß auch Fedotow ein Opfer der Verhältnisse innerhalb der Truppen und des Krieges ist. Aber wohin hat zum Beispiel sein Kommandeur geschaut, als der Schuß abgegeben wurde?“ fragte Mrozek. Nach Ansicht des Anwaltes von Mrozek hat sich das Gericht einige schwerwiegende Formfehler zuschulden kommen lassen: „Erstens: Anträgen, einer Mitschuld der Vorgesetzten Fedotows nachzugehen, wurde nicht stattgegeben. Zweitens: Verhört wurden nur Zeugen, die theoretisch für den Vorfall mitverantwortlich zeichnen. Ein damals zufällig ebenfalls anwesender Soldat wurde trotz wiederholter Anträge nicht gehört. Drittens: Am 19. Juli vorigen Jahres erklärte Präsident Jelzin, der Täter habe den Schuß im Zuge eines Nervenzusammenbruches abgegeben. Jelzins Pressesprecher zeigte Gisbert Mrozek damals eine interne Aktennotiz, auf die sich der Präsident stützte. Dieser Spur wurde nicht nachgegangen. Viertens: Das Gericht folgte einseitig der Aussage des Angeklagten, er habe den Schuß beim Einsteigen in den Panzer aus Versehen mit dem Fuß ausgelöst – eine geradezu Akrobaten-Künste erfordernde Bewegung.“

Der schwerste Vorwurf des Journalisten Mrozek trifft allerdings den Militärstaatsanwalt Bibikow. Alle Zeugen gaben zu, daß Bibikow den Todesschützen Fedotow nach dessen ersten Aussagen wieder in den Korridor zu seinem Vorgesetzten hinausschickte, um sich zu „beraten“. Gisbert Mrozek: „Heute will der eine von ihnen den Strom für das Maschinengewehr eingeschaltet haben, der andere hat angeblich den Hahn entsichert – und Fedotow mußte schließlich nur noch eine falsche Bewegung tun. Die Schuld wurde in so winzige Portionen aufgeteilt, daß sie zwischen den Fingern zerrinnt.“ Natalja Aljakinas Mann wird Berufung einlegen. Er sieht allerdings auch den Kontext der ganzen Entscheidung: „Das Urteil kommt nach den Präsidentenwahlen gleichzeitig mit der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen in Tschetschenien. Es scheint, als seien gewisse Leute jetzt einfach nicht mehr zu bremsen!“ Barbara Kerneck