■ Eine ausgeprägte Abneigung gegen Suchtmittel aller Art war Rockmusikern noch nie eigen. Doch das derzeitige Revival von Heroin in der US-Rockszene erschreckt selbst Insider. Die Liste der prominenten Drogentoten wird immer länger.
: Comebac

Eine ausgeprägte Abneigung gegen Suchtmittel aller Art war Rockmusikern noch nie eigen. Doch das derzeitige Revival von Heroin in der US-Rockszene erschreckt selbst Insider.

Die Liste der prominenten Drogentoten wird immer länger.

Comeback des Kaputtmachers

Geplant war eine Supertour mit 200 Konzerten in aller Welt, auf der die Smashing Pumpkins ihr jüngstes Album „Mellon Collie and the Infinite Sadness“ präsentieren wollten. „Unendliche Trauer“ und ein gewaltiger Schock markieren das vorläufige Ende der Tournee: Sanitäter transportierten am Freitag die Leiche von Keyboarder Jonathan Melvoin aus einem New Yorker Hotel ab, während Polizisten den Schlagzeuger der Band, Jimmy Chamberlin, festnahmen. Beide Musiker hatten sich in der Nacht zuvor Heroin gespritzt. Als Chamberlin in den frühen Morgenstunden wieder zu sich kam, fand er einen leblosen Melvoin vor. Todesursache: Überdosis.

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, doch überrascht zeigte sich kaum mehr jemand. Die Liste der Heroin-Toten in der Rockmusikszene muß dieser Tage immer schneller aktualisiert werden. Es häufen sich Meldungen über Stars, die wegen Drogenbesitz festgenommen oder aufgrund ihrer Abhängigkeit von der Bühne in die Entzugsklinik verschwinden – zuletzt Scott Weiland, Leadsänger der Stone Temple Pilots.

Nun hat sich die Berufsgruppe der Rockmusiker noch nie durch eine ausgeprägte Abneigung gegen Suchtmittel ausgezeichnet. Doch das gegenwärtige Comeback von Heroin erschreckt selbst Insider. Dabei erfährt die Öffentlichkeit nur die Fälle der Stars: „Ich habe noch keine Band gemanagt, die kein Drogenproblem gehabt hätte“, so Tim Collins, Manager der Band Aerosmith, „und in den letzten Jahren ist es deutlich schlimmer geworden.“ Collins weiß, wovon er spricht. In den 80er Jahren stand auf seiner Gehaltsliste ein Mitarbeiter, der nichts anderes zu tun hatte, als die Musiker um Aerosmith-Leadsänger Steve Tyler mit Drogen zu versorgen. Tyler und Co. sind nach Entzugsprogrammen clean.

Auch auf Amerikas Straßen und in den Schulen erfreuen sich Heroindealer eines wachsenden Kundenkreises. Unter SchülerInnen, so die Beobachtung des National Institute on Drug Abuse, sind zwar weiterhin Alkohol und Marihuana die beliebtesten Rauschmittel, doch die Zahl derer, die zur Heroin-Spritze greifen, „hat in den 90er Jahren klar zugenommen“. Die Notaufnahmestationen amerikanischer Krankenhäuser verzeichnen bei PatientInnen, die mit Heroin-Überdosis eingeliefert werden, einen Anstieg von 50 Prozent. Im Unterschied zu den 60ern und 70ern wird der Stoff heute billiger, aber auch reiner angeboten. Nachschub gibt es genug: Seit den späten 80ern verdoppelte sich die Opiumproduktion.

Die Erinnerung an prominente Opfer der Hippie-Generation wie Janis Joplin und Jimi Hendrix reicht als Abschreckung offenbar nicht aus. Umfragen ergeben, daß die überwiegende Mehrheit der AmerikanerInnen über 35 Jahre Heroin als „enorm gefährlich und risikoreich“ einstufen. Dagegen halten es nur rund 50 Prozent der 12- bis 17jährigen für „sehr gefährlich“, die Droge auszuprobieren.

Anti-Drogen-Kampagnen gelten nicht als „hip“

„Wir stehen kurz davor, eine Epidemie unter jungen Leuten zu wiederholen“, erklärte Ginna Marston von Partnership for a Drug- Free America, unlängst in der Washington Post. „Das ist einfach irrsinnig, weil die vorherige Generation das alles schon mal durchgemacht hat.“

Nach Marstons Ansicht ist der neue „Heroin Chic“ unter Rockmusikern für diesen Trend ebenso mitverantwortlich wie die traditionelle Ansicht in der Musikszene, daß die Teilnahme an Anti-Drogen-Kampagnen „nicht hip“ sei. Eine Woche vor Jonathan Melvoins Tod hatte allerdings ein nationaler Verband der Musikindustrie eine neue Kampagne vorgeschlagen. Zu befürchten ist, daß das Comeback von Heroin den Hardlinern in der US-Drogenpolitik Auftrieb gibt und überfällige Schritte und Hilfsmaßnahmen weiter blockiert. Das bundesstaatliche Center for Disease Control and Prevention, das unter anderem den Verlauf der Aids-Epidemie dokumentiert, schätzt, daß die große Mehrheit aller neuen HIV-Infektionen unter Drogenabhängigen erfolgt, die nicht steriles Spritzbesteck benutzen. Trotzdem schalten PolitikerInnen auf stur, wenn zum x-ten Male die legale Ausgabe von Injektionsnadeln gefordert wird. Solche „needle-exchange“-Programme existieren mittlerweile zwar in zahlreichen Städten, doch entweder sind es „Untergrund-Aktionen“, die durch Privatspenden finanziert werden – oder die zuständigen Behörden drücken beide Augen zu. Die Strategie der „Null-Toleranz“ gegenüber Drogenabhängigen ist nach wie vor offizielle Politik – gekoppelt mit einem Strafrecht, das seit der Reagan-Ära vor allem junge schwarze KleindealerInnen und DrogenkonsumentInnen hinter Gitter gebracht und die Zahl der Gefängnisinsassen auf über eine Million Menschen hochgetrieben hat. Eine der Ursachen: Laut Bundesgesetz wird der Besitz von fünf Gramm Crack – einer überdurchschnittlich von Schwarzen konsumierten Droge – automatisch mit fünf Jahren Haft bestraft. Wer mit dem überproportional von Weißen konsumierten Kokain erwischt wird, muß schon ein ganzes Pfund bei sich haben, um die gleiche Strafe zu bekommen. Vierzehn Einzelstaaten unterscheiden bei der Strafzumessung ebenfalls zwischen den Drogen Kokain und Crack.

Mitten in diese Debatte platzt nun wieder ein Kulturschaffender – dieses Mal nicht in Gestalt eines drogenabhängigen Rockmusikers, sondern des schottischen Regisseurs Danny Boyle, dessen Film „Trainspotting“ in wenigen Tagen in die amerikanischen Kinos kommt. Der von KritikerInnen gepriesenen „Comedy-Horror- Show“ (Time Magazin) über einen Heroinabhängigen dürfte der Zorn konservativer PolitikerInnen und KommentatorInnen gewiß sein. Denn in „Trainspotting“ wird dargestellt, daß der Griff zur Spritze eine ganz bewußte Entscheidung sein kann – gegen ein „abgefucktes Leben“ und für etwas kurzfristig Wunderbares, das einen von weiteren Überlegungen scheinbar entbindet. „Wer braucht schon Gründe, wenn er Heroin hat“, sagt Junkie Mark, der Hauptprotagonist. Schon vor der Premiere wurden Vorwürfe laut, „Trainspotting“ verherrliche die Abhängigkeit von Heroin. Die Provokation dürfte aber eher darin liegen, daß der Film so gar nicht in die Schablonen der amerikanischen Debatte paßt, in der viele immer noch dem Slogan des Reaganschen „Krieges gegen die Drogen“ anhängen, der allein aufgrund seiner Simplifizierung infam ist: „Just Say No.“ Warum, würde Junkie Mark fragen. Wer keine Drogen hat, braucht Gründe. Andrea Böhm, Washington