■ Bundesratsabstimmung: Sparpaket ist eine Mogelpackung
: Zu simple Rechnung

Lohnkürzungen für Kranke, kein Gebiß mehr für Leute, die bis zum Januar noch keine 18 Jahre alt sind, längere Lebensarbeitszeit – über dieses Regierungsprogramm wird heute der Bundesrat abstimmen. Die Unternehmen sollen entlastet werden, damit die Wirtschaft wieder wächst und die Betriebe mehr Leute einstellen. Die neuen Jobbesitzer zahlen dann Steuern, und die Staatskasse wird wieder gefüllt. So lautet der simple Plan der Kohlregierung, der uns ins 21. Jahrhundert führen soll. Doch die Ideen sind uralt – und haben sich bereits als falsch erwiesen. Denn Wachstum führt keineswegs automatisch zu mehr Arbeit. Das beweisen die letzten 30 Jahre. Obwohl die Ökonomie meist zulegte, ist die Zahl der Erwerbstätigen in Westdeutschland etwa konstant geblieben.

Wo also ist das Geld aus dem Wirtschaftswachstum geblieben? Zum einen ist das Haushaltseinkommen von Selbständigen seit den 80er Jahren deutlich stärker gestiegen als das anderer Leute. Ursache dafür sind vor allem immer neue steuerliche Entlastungen. Sie wurden stets mit der gleichen Hoffnung begründet: Die Selbständigen sollten angeregt werden, mehr Jobs zu schaffen. Zum zweiten wandert das Kapital zu einem erheblichen Teil ins Ausland. Auf den Finanzmärkten angelegt, vermehrt es den Reichtum seiner Besitzer rapide und ist zugleich relativ sicher vor dem Zugriff des deutschen Fiskus. Und schließlich wurde das Geld aus dem Wirtschaftswachstum auch zur Modernisierung der Betriebe benutzt, die fast immer mit Entlassungen verbunden waren. Denn das deutsche Steuersystem bevorzugt Betriebe, die in Maschinen investieren und nicht in Menschen. So wuchs zwar die Wirtschaft, die steigende Produktivität verhinderte aber die Entstehung neuerJobs.

Damit Betriebe neue Leute anstellen, müssen die Arbeitskosten in Deutschland tatsächlich vermindert werden. Daß sie so hoch sind, liegt aber nicht an ständig krank feiernden Arbeitnehmern. Vielmehr müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer faktisch allein für eine wachsende Zahl von Alten, Arbeitslosen und Kranken zahlen. Diejenigen aber, die in den letzten 30 Jahren vom Wirtschaftswachstum profitiert haben, tragen fast nichts dazu bei. Und das soll auch, Kohl sei Dank, so bleiben. Annette Jensen