„Beutekunst“-Gesetz vorläufig vom Tisch

■ Der Russische Föderationsrat lehnt Duma-Entwurf nach heftiger Debatte ab

Moskau/Berlin (dpa/taz) – Die Debatte im Russischen Förderationsparlament am späten Mittwochnachmittag war so stürmisch wie schon seit langem nicht mehr. Ein hoch emotionalisiertes Thema stand auf der Tagesordnung: Was tun mit den Kunstobjekten aus deutschen Museen und Privatsammlungen, die Stalins „Trophäenkommission“ oder auch nur einfache Soldaten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion transportierten? Zum russischen Eigentum erklären, so wie es die Duma vor zwei Wochen mit überwältigender Mehrheit beschloß, oder den Status quo behalten und dann mal weitersehen?

Der Förderationsrat, also der Rat der Regionen, dem nominell 178 Abgeordnete angehören, entschloß sich vorgestern, den vom Parlament verabschiedeten Gesetzentwurf zur Verstaatlichung der sogenannten Beutekunst, abzuschmettern. Und zwar, wie in einem Teil der Auflage gestern berichtet, mit einer beeindruckenden Mehrheit. Von den anwesenden 102 Abgeordneten stimmten 62 gegen den Gesetzentwurf, 16 enthielten sich, die restlichen 44 Abgeordneten unterlagen.

Bis zur letzten Sekunde hatten sie darum gekämpft, die von deutscher Seite in Rußland vermuteten 200.000 Kunstobjekte, zwei Millionen Bücher und drei Kilometer Archivgut zum Eigentum ihres Landes erklären zu lassen. Als nachträgliche Reparation für die Verwüstungen, die deutsche Soldaten in der Sowjetunion angerichtet hatten, und für die Beutezüge, die der „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“, Alfred Rosenberg, organisierte.

Vor allem Nikolai Gubenko, der unter Gorbatschow der letzte sowjetische Kulturminister gewesen war und jetzt als Kulturvertreter der Duma den von ihm selbst mitverfaßten Entwurf verteidigte, argumentierte verbittert. Er erinnerte an die 27 Millionen Kriegstoten, fragte, wer denn eigentlich der „Sieger“ wäre, wenn Deutschland die Kunst zurückbekäme. „Wenn Sie heute abstimmen“, appellierte er seine Kollegen, „könnten Sie sagen, das Gesetz spricht die Sprache der Gerechtigkeit.“

Aber genau dies sah die Mehrheit anders. Die Vertreter der Regionen hatten nicht darüber zu entscheiden, ob das 1945/46 transferierte Kulturgut nach Deutschland zurück expediert wird, sondern nur, ob der Duma-Gesetzentwurf wirklich so, wie er formuliert wurde, auch Gesetz wird. Das ist ein Unterschied und obendrein eine Gelegenheit, dem von Nationalisten und Kommunisten majorisierten Unterhaus eins auszuwischen. Also argumentierten sie nicht wie Gubenko moralisch und nationalistisch, sondern juristisch und, mit Blick auf die Beziehungen zum Westen (wo sie was zu verlieren hätten), pragmatisch.

Ohne eigens auf den völkerrechtswidrigen Charakter des Duma-Entwurfs einzugehen, meinte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Krylow, „es bringt Rußland in Streit mit einer Reihe von Staaten“. Deutlicher kanzelte Anatoli Sliwa, der Vertreter von Präsident Jelzin im Förderationsrat, die Duma ab. Abfällig meinte er, „das Dokument“ könne kaum „Dokument“ genannt werden: „Es ist eine Schmähung der Verfassung.“ Und der Verwaltungsschef von Rostow (am Don), Wladimir Tschub, sprach gar von „Unfug“. Der Entwurf sei eine Art von „Nationalsierung“. Er widerspreche in jedem Punkt dem deutsch-russischen Nachbarschaftsvertrag. Das heikle Wort „Rückgabe“ nahm nur der ehemalige Justizminister und jetzige Präsident der Teilrepublik Tschuwaschien in den Mund. Er ist dafür. Für die russischen Zeitungen kam die Entscheidung zu spät. Keine kommentierte sie gestern.

Sehr erleichtert aber äußerten sich schon vorgestern die deutschen Kulturpolitiker und Museumsexperten. Jetzt, wo der Beschluß vom Tisch ist, haben sie die Hoffnung, daß die kulturpolitische Eiszeit zwischen Rußland und Deutschland ein Ende findet. Oder der Weg für einen neuen Anfang frei ist. Anita Kugler