Schwere Geschütze gegen Exiliraner

Eine iranische Kanone beschäftigt seit März die deutsche Staatsanwaltschaft. Gefunden wurde sie auf einem Frachter im Hafen von Antwerpen. Doch wer sollte mit ihrer Hilfe getötet werden?  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz) – Das Gerät erinnert Oberstaatsanwalt Meier- Staude an eine Ölpipeline: Zwei Rohre von jeweils etwa 80 Zentimeter Länge, die mit Flanschen verschraubt werden. Doch der zivile Anschein trügt. Zusammengesetzt wird daraus eine tödliche Waffe. Ein Mörser von eigenartiger Bauweise mit dem enormen Kaliber von 320 Millimeter. Seine Reichweite beträgt 600 Meter, ein daraus abgefeuertes Geschoß kann ein ganzes Haus zerstören. Zweifellos eine Spezialanfertigung, allerdings unter Verwendung industriell gefertigter Teile.

Seit März diesen Jahres geht Oberstaatsanwalt Meier-Staude von der Münchner Staatsanwaltschaft der Frage nach, wie dieses Gerät nach Europa gekommen ist und zu welchem Zweck. Während er auf die erste Frage mittlerweile Antworten gefunden hat, weiß er mögliche Ziele eines Anschlages nicht zu benennen. Die Ermittlungen laufen noch, ein Ende ist nicht abzusehen. Doch sie werden womöglich in die richtige Richtung gelenkt, wenn die Münchner Staatsanwaltschaft eine Spur aufnimmt, die nach Bagdad führt.

Dort sollte vor einigen Wochen ein Mörser der gleichen Bauart bei einem Anschlag auf das dortige Hauptquartier des Nationalen Widerstandrates Iran zum Einsatz kommen. Kurz zuvor wurde die Waffe jedoch von irakischen Sicherheitskräften beschlagnahmt. Nach Angaben des Widerstandsrates sollen zwei Personen festgenommen worden sein.

Daß der Mörser iranischer Herkunft ist, steht auch für die Münchner Staatsanwälte außer Zweifel. Die Kanone wurde am 14. März im Hafen von Antwerpen beschlagnahmt. Der belgische Zoll hatte sie zusammen mit entsprechenden Granaten in drei großen Kisten auf dem iranischen Frachter „Iran Kolahdooz“ entdeckt. Die Kisten waren Teil einer Ladung von Gewürzgurken und Knoblauchzehen – ihr Bestimmungshafen Hamburg, ihr Ziel ein Geschäft in München.

Die Ladung war von einer Seetransportfirma namens Haml e Varedat mit Sitz in Teheran aufgegeben worden. Das geht aus einem Untersuchungsbericht hervor, den das britische Parlament im Juni zum iranischen Staatsterrorismus erarbeitete. Dieser Bericht befaßt sich auch mit einem möglichen Anschlagsziel des Mörsers. Die Ware, unter der sich die Waffe befand, war ursprünglich von Jiroft Food Industries zusammengestellt worden, einer Firma, die laut Bericht den Revolutionären Garden des Iran angegliedert ist. Die „Iran Kolahdooz“ verließ am 23. Februar den Iran und war, nach dem Zwischenstopp in Antwerpen, am 16. März in Hamburg.

Als der Frachter am Schuppen 64 des Freihafens festmachte, erwarteten ihn schon die deutschen Sicherheitsbehörden. Sie entdeckten an Bord lediglich einen blinden Passagier, der mit dem Waffenfund allerdings nichts zu tun hatte. Derweil hatte die Staatsanwaltschaft in München den Adressaten der Ware und einen weiteren iranischen Geschäftsmann festgenommen. Gegen sie wurde Haftbefehl wegen des Verdachts auf „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ erlassen. Die Haftbefehle sind mittlerweile außer Vollzug gesetzt, doch es wird weiter gegen die beiden und weitere Personen ermittelt. Informationen, wonach ein Bekannter der beiden, der sich mittlerweile aus München abgesetzt hat, Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstministeriums gewesen sei, konnte die Staatsanwaltschaft nicht bestätigen. Auch das Ziel eines Anschlags ist für sie noch nicht ausgemacht.

Dies lag womöglich auch gar nicht in Deutschland. Vertreter des Nationalen Widerstandsrates des Iran erklärten Mitte Mai, daß das Iranische Geheimdienstministerium einen Angriff auf die Residenz der Präsidentin des Iranischen Widerstandes, Mariam Radschavi, in Paris geplant habe. Ihr Mann, der Präsident des Iranischen Widerstandsrates, Massud Radschavi, soll Ziel des geplanten Mörserangriffs von Bagdad gewesen sein. Massud Radschavi leitet den militärischen Widerstand gegen das Mullahregime. Er soll an der Spitze der Abschußliste des iranischen Geheimdienstes stehen. Der Untersuchungsbericht des britischen Parlaments kommt denn auch zu dem Schluß, daß beim Anschlag von Bagdad Agenten des iranischen Geheimdienstministers Ali Fallahian ihre Finger im Spiel hatten.

Mitte Juni vermeldete die angesehene britische Zeitschrift The Sunday Times, unter Berufung auf „westliche Geheimdienste“, daß das Ziel des Mörsers von der „Iran Kolahdooz“ das Domizil des iranischen Widerstandsrates in Paris gewesen sei. Dem will die Münchner Staatsanwaltschaft nicht so ohne weiteres zustimmen. Doch für diese Annahme spricht unter anderem die Bauart des Mörsers. Entgegen der Schilderung diverser Presseberichte ist es geradezu unmöglich, mit dem Gerät „zielgenau“ zu operieren, die davon abgefeuerten Geschosse beschreiben vielmehr eine schwer berechenbare elliptische Kurve. Für den Gebrauch der Waffe ist ein gewisses Training erforderlich. Möglich wäre es, damit in den Hof eines Gebäudes zu schießen. Für eine solche Anwendung spricht die spezielle Art der in Antwerpen gefundenen Geschosse. Diese verfügen nach Angaben der dortigen Distriktstaatsanwaltschaft über einen Zündmechanismus, der es ermöglicht, sie vor dem Aufprall in der Luft detonieren zu lassen. In einem Umkreis von bis zu 650 Meter würden die Druckwelle und Schrapnells ihre tödliche Wirkung entfalten. Dadurch könnten, so die Einschätzung des Untersuchungsberichts, „Unsicherheiten in der exakten Bestimmung des Objektes“ ausgeglichen werden. Fazit der Briten: „Das Ziel muß schwer bewacht und unmöglich zu erreichen sein.“

Es wäre nicht das erste Mal, daß Mariam Radschavi Ziel eines Anschlages ist. Bereits im Juni 1995 sollte ein iranisches Terrorkommando auf die Politikerin angesetzt werden, als sie nach Deutschland kommen wollte. Nach Angaben des US-Geheimdienstes sollen nicht näher genannte deutsche Stellen seinerzeit zwei verdächtige iranische Geheimdienstler zur Ausreise aufgefordert haben.

Angesichts des Hintergrundwissens, das westlichen Diensten zur Verfügung steht, kommt die Münchner Staatsanwaltschaft schon ins Grübeln. Sie hat Schwierigkeiten, mögliche Hinweise zu erhärten, denn die iranischen, aber auch die irakischen Behörden zeigen sich nicht sonderlich kooperativ. Und die deutschen Dienste sind nicht halbwegs so mitteilsam wie ihre westlichen Kollegen, wenn eine Spur nach Teheran führt. Dabei hatte der neue Chef des Bundesnachrichtendienstes Hansjörg Geiger erst letzte Woche versprochen, der BND könne vor allem islamische terroristische Gruppierungen im Auge behalten. Denn, so Geigers Erkenntnis, im Gegensatz zu Frankreich sei Deutschland bisher verschont geblieben. Doch „das muß nicht automatisch so sein“.