Aids bleibt gefährlich – trotz neuer Therapie

■ Deutsche Aids-Hilfe warnt Patienten vor übertriebenen Erwartungen

Berlin (taz) – „Wir haben diese Krankheit noch lange nicht im Griff, und wir können sie auch nicht stoppen.“ Hans-Josef Linkens, Medizinreferent der Deutschen Aids-Hilfe, warnte gestern in Berlin vor übertriebenen Erwartungen an die neue Kombinationstherapie gegen Aids. Die jetzt einsetzbaren, insgesamt neun Medikamente schafften es zwar, die Virusmenge unter die Nachweisbarkeitsgrenze zu bringen, aber das Aidsvirus HIV sei deshalb noch lange nicht verschwunden. Es verstecke sich in bestimmten Zellen des Immunsystems. Jetzt müsse abgewartet werden, wie lange die Medikamente wirksam blieben und wie sich das Krankheitsbild, aber auch die Nebenwirkungen entwickelten. Auch wenn die ganz großen Erwartungen auf dem Welt-Aids-Kongreß in Vancouver nicht erfüllt worden seien, habe man doch eine „neue Seite“ im Kapitel Aids aufgeschlagen, sagte auch Uli Meurer, ebenfalls Mitarbeiter der Aids-Hilfe.

Zugleich wies er darauf hin, daß in vielen europäischen Ländern die neuen Medikamente noch gar nicht verfügbar seien. „Die Mühlen der europäischen Zulassungsbehörde mahlen langsam“, kritisierte Linkens. In der Bundesrepublik könnten die in den USA zugelassenen Arzneien dagegen ohne Probleme besorgt werden.

Weit stärkere Anstrengungen seien auf dem Gebiet der Impfstoffe notwendig, forderte Meurer. Leider zeige sich, daß die Impfstoffentwicklung auf diejenigen Subtypen der Viren konzentriert würden, die in den Industrieländern verbreitet sind. Forschung finde vor allem dort statt, wo etwas zu verdienen sei. Ein Impfstoff sei aber vor allem in den Entwicklungsländern notwendig, wo neun von zehn Infizierten leben und wo teure Aidstherapien unbezahlbar sind. Die neue Kombinationstherapie kostet nach Angaben der Aids-Hilfe monatlich etwa 3.000 Mark.

In Gesellschaft und Politik sieht Meurer einen verhängnisvollen Trend. Sollte sich die irrige Meinung durchsetzen, daß Aids mit den neuen Medikamenten seinen Schrecken verliere, werde die Gleichgültigkeit wachsen und die Finanzierung von Aufklärung und Verhütung noch schwerer. Manfred Kriener