„Der Staat spart und schwächt die Wirtschaft“

■ Dieter Teichmann, Finanzexperte des Deutschen Institus für Wirtschaftsforschung (DIW), hat die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Bonner Sparpakets berechnet

taz: Das Sparpaket als Doppelpack: Zum einen Einsparungen im Bundeshaushalt, zum anderen Kostenentlastungen für die Unternehmer. Wie wirkt sich dies auf die Wirtschaft aus?

Dieter Teichmann:Beide Maßnahmen gehen in die gleiche Richtung: Sie schwächen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Wenn der Staat spart, bedeutet das zum Beispiel, daß Unternehmen weniger Aufträge bekommen. Wenn die Arbeitnehmer Einbußen hinnehmen müssen, verringert das die Nachfrage der Verbraucher. In der Folge wird weniger produziert, und das geht auf die Gewinne der Unternehmen.

Würden nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen, wenn die Kosten geringer wären?

Da muß die Gegenfrage lauten: Wie soll das passieren, wenn gleichzeitig die Nachfrage zurückgeht? Ein Unternehmer stellt doch nur Leute ein, wenn er weiß, wer seine Produkte kauft. Außerdem ist die Kostenbelastung der Unternehmen aufgrund niedrigerer Steuern seit den achtziger Jahren bereits kräftig gesunken.

Soll der Staat gar nicht sparen?

Doch, aber nicht jetzt. Eine Stagnation ist vollkommen ungeeignet für den Versuch, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Der Staat bringt sich so doch nur selbst in eine Abwärtsspirale: Er spart, schwächt die Wirtschaft, und die Löcher im Haushalt werden größer, weil weniger Steuern eingenommen werden und mehr für Arbeitslose gezahlt werden muß.

Was, wenn die Regierung ihren Sparkurs eisern durchzöge?

Wir haben das in einer Simulation durchgerechnet. Dabei sind wir von der Annahme ausgegangen, daß der Staat ein Prozent des Sozialprodukts weniger ausgibt – das wären 35 Milliarden Mark, ungefähr die Größenordnung des geplanten Sparpakets. Da hat sich gezeigt, daß nach drei bis vier Jahren das Sozialprodukt etwa zwei Prozent niedriger liegen würde, als wenn der Staat nichts tut.

Das Staatsdefizit würde doch wenigstens sinken.

Nur kurzfristig! Aufgrund der geringeren Steuereinnahmen und der Kosten der Arbeitslosigkeit würden die Defizite danach höher ausfallen als ohne Sparpaket.

Der Haushalt soll erst in Ordnung gebracht werden, wenn die Wirtschaft wieder wächst. Woher soll das Wachstum kommen?

Vom Sparen wird es sicher nicht kommen. Erst recht nicht, wenn auch die anderen europäischen Staaten, mit denen die Bundesrepublik wirtschaftlich eng verflochten ist, zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien eisern sparen.

Uns bleibt dann nur das Prinzip Hoffnung?

Staatliche Konjunkturprogramme kann man in der Tat kaum erwarten, denn der Staat hat seinen finanziellen Spielraum nicht zuletzt durch die Vereinigung verloren. Aber zumindest darf er sich jetzt nicht durch krampfhaftes Sparen kontraproduktiv verhalten, sondern muß das konjunkturbedingte Defizit hinnehmen. Immerhin sehen wir einen Lichtstreifen am Horizont – die Aufragseingänge aus dem Ausland nehmen wieder zu.

Aus ökologischer Sicht ist diese Fixierung auf Wirtschaftswachstum nicht gerade wünschenswert.

Die Vergangenheit hat gezeigt, daß die Arbeitslosigkeit nachhaltig nur dann abgebaut werden konnte, wenn das reale Bruttosozialprodukt über einen längeren Zeitraum mindestens drei Prozent im Jahr wuchs. Und die Arbeitslosigkeit ist schließlich neben der Vereinigung der wesentliche Grund für das hohe Staatsdefizit.

Halten Sie ein so hohes Wirtschaftswachstum für realistisch?

Wenn wir das nicht hinbekommen, müssen wir versuchen, die Arbeit auf mehr Köpfe zu verteilen.

Wäre nicht eine ökologische Steuerreform, die die Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten entlastet, die bessere Lösung?

Doch, dafür plädieren wir ja schon lange. Aber das ist im Augenblick politisch nicht durchsetzbar. Interview: Nicola Liebert