Feuerball über Long Island

■ 229 Tote bei Flugzeugkatastrophe vor der New Yorker Küste: Boeing 747 kurz nach dem Start explodiert. Nach Bekenneranrufen Spekulationen über Bombenanschlag. TWA-Maschine auf dem Weg nach Paris war 25 Jahre alt

Washington (taz) –Das zeitliche Zusammenspiel hätte makabrer nicht sein können: Wenige Stunden vor dem Absturz eines ihrer Jumbo-Jets vor der Küste von Long Island, New York, hatten Manager der US-Fluggesellschaft Transworld Airlines (TWA) verkündet, nun endlich in die Modernisierung ihrer veralteten Flotte investieren zu können. In Washington tagte währenddessen ein Senatsausschuß, um Verstöße von Fluggesellschaften und staatlichen Kontrollbehörden gegen Sicherheitsmaßnahmen zu untersuchen.

Nach Augenzeugenberichten war die Boeing 747-100 auf ihrem Flug nach Paris kurz nach ihrem Start auf dem New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen um 20 Uhr Ortszeit in der Luft explodiert und ins Meer gestürzt. Die Katastrophe spielte sich vor den Augen der Besatzungsmitglieder eines Rettungsfliegers der Air National Guard ab, die sich auf einem Übungsflug befanden. Sie alarmierten umgehend ihre Bodenstation und schossen Leuchtraketen ab, um Rettungsschiffen den Weg zur Absturzstelle zu zeigen. Hoffnungen, daß einige der 212 Passagiere und der 17köpfigen Crew überlebt haben könnten, zerschlugen sich in den frühen Morgenstunden. Bis dahin hatten Rettungsmannschaften rund 100 Tote geborgen.

Antiterrorspezialisten des FBI sowie der New Yorker Polizei haben inzwischen die Ermittlungen übernommen, an denen auch Mitarbeiter der Nationalen Sicherheitsbehörde teilnehmen. Mehrere Radiostationen erhielten Bekenneranrufe, die jedoch von den Ermittlern und vom US- Außenministerium als „unglaubwürdig“ eingeschätzt werden. Spekulationen über einen möglichen Bombenanschlag wurden vorerst nur als eine von vielen Absturzursachen angesehen.

Die TWA-Maschine, die drei Stunden vor ihrem Abflug nach Paris aus Athen eingetroffen war, war nach Angaben der Behörden über 20 Jahre alt. In den vergangenen Jahren hatte es mit der Boeing 747 mehrfach Probleme gegeben: Ein Frachtflugzeug dieses Typs stürzte vor mehreren Jahren direkt über einem Wohngebiet in Amsterdam ab. Es war ebenfalls eine Boeing 747, die auf einem Passagierflug der Gesellschaft United Airlines nach Hawaii eine Ladetür verlor. Mehrere Passagiere wurden durch die Saugwirkung aus dem Flugzeug gezogen, bevor die Maschine notlanden konnte.

Der Absturz der TWA-Maschine ist die zweite große Flugkatastrophe in den USA innerhalb der letzten vier Monate. Am 11.Mai war ein Flugzeug der Billiglinie Value Jet Airlines auf dem Weg von Miami nach Atlanta über den Everglades abgestürzt. 110 Menschen kamen ums Leben. Absturzursache war die Explosion mehrerer unsachgemäß gelagerter Sauerstoffflaschen im Laderaum. Value Jet Airlines wurde aufgrund eklatanter Mängel bei der Wartung ihrer Maschinen von der zuständigen Bundesbehörde, der Federal Aviation Authority (FAA), bis auf weiteres die Lizenz entzogen. Inzwischen ist jedoch auch massive Kritik gegen staatliche Behörden und deren laxe Kontrolle einer Branche laut geworden, die zunehmend durch Billiganbieter unter Druck gerät.

Doch bei allen Warnungen vor verfrühten Schlüssen durch die Behörden tauchte gestern immer wieder ein Fall in Nachrichtensendungen und Zeitungsberichten auf: der Bombenanschlag auf die Boeing 747 der Fluggesellschaft Pan Am, die 1988 über dem schottischen Lockerbie abstürzte. Der jüngste Anschlag auf US- Truppen in Saudi-Arabien sowie die heutige Eröffnung der Olympischen Spiele in Atlanta gaben den Spekulationen über einen möglichen Terroranschlag zusätzlich Nahrung. Wegen der Olympiade waren die Sicherheitsauflagen allerdings zusätzlich verstärkt worden. Drohungen irgendwelcher Art gegen TWA gab es nach Angaben von Behörden nicht. Im Fall des Bombenattentats auf die Pan-Am-Maschine kam erst später heraus, daß US- Vertreter in Moskau anonyme Warnungen erhalten hatten. Inzwischen sind Behörden und Fluggesellschaften verpflichtet, solche Drohungen unmittelbar öffentlich zu machen. Andrea Böhm