: Die Linie des Fadenstrichs zwischen zwei Köpfen
■ Auf Kampnagel: „Absolute Räume“ zeigt Zeichnungen ohne Papier von europäischen Künstlern
Die Zeichnung beginnt mit der ersten Linie. Schon ein einziger waagerechter Strich kann auf dem leeren Blatt Himmel und Erde definieren. Und wenn Susann Turcott aus London einen schwarzen Zwirn quer durch einen weißen Ausstellungsraum spannt, geschieht ähnliches. Where to Draw the Line nennt sie den minimalen Eingriff in die räumlichen Beziehungen. Doch diese Basisdemonstration hat noch eine weitere Dimension: die Garnlinie ist an zwei winzig kleinen Gipsköpfen befestigt, der Strich im Raum ist also auch Beziehungsachse zwischen Mann und Frau.
Susann Turcotts leichte Intervention steht am Beginn der Ausstellung Absolute Räume in KX auf Kampnagel. Sie vereint vier Künstler und Künstlerinnen, die den Begriff der Zeichnung für ihre Arbeit reklamieren, ohne das auch nur ein Blatt Papier zu sehen ist. Fragestellungen in den Grenzbereichen der bildenden Künste sind bevorzugtes Thema in KX auf Kampnagel. Auch in der aktuellen, von Nikola Blaskovic zusammengestellten Ausstellung geht es den KünstlerInnen aus der Generation der 30jährigen um die Konstruktion anschaulicher Räume aus begrifflichem Material in einer medial geprägten Zeit. Alle betonen die Wichtigkeit des Zeichnens für die Überprüfung des Blicks und beziehen sich auf Klees Diktum, das Zeichnen das Unsichtbare Sichtbar macht. Doch die Erkenntnismethode muß nicht das endgültige Produkt sein: zu sehen sind durchweg Installationen.
Eine grundsätzliche Demonstration von Wahrnehmungsfragen leisten die Kästen von Constantin Jaxy aus Bremen. Seine Schattenboxen erzeugen aus kleinen Fund- stücken eine Schattenzeichnung, handliche Modelle zwischen eher beiläufiger Gefälligkeit und tiefphilosophischer Referenz an Platons Höhlengleichnis.
Der klare Weg zwischen tausendfach durchdacht und immer wieder neu gemacht ist im aktuellen Kunstbetrieb zu einem weiten Tal voll unüberschaubarer Verzweigungen zwischen Beliebigkeiten, heruntergebeteten Litaneien und aufgeregten „Hier-sensationell-neu-Rufen!“ erweitert. So ergibt sich für die Installation Heiliger Kunst, bitte für mich von Nikola Blaskovic ein eher ironisches Bezugsfeld. Es ist ein Kreis von Maschinen, die Endlosschleifen von auf Folien gezeichneten Kreisen durchnudeln. Die graue Gruppe ist aus gebrochenen Keilrahmen gebaut und erinnert an eine Mönchsgruppe, der der höhere Sinn zwar abhanden gekommen ist, die aber nicht aufhört, ihre „Gebetsmühlen“ zu betreiben. Dennoch glaubt der kroatische Künstler: „Kunst ist nicht Vorturnen, sondern neue Möglichkeiten aufzeigen.“ Und so bieten zwei weitere Maschinen an der Wand, nach gleichem Prinzip konstruiert, nicht Wiederholung, sondern immer neue Kombinationen von Bildfeldern.
Die Stereotypen der Comicwelt und des kommerzialisierten Kinderkrams bricht Isabelle Jousset aus Paris. Unter dem Titel Bisounours, einem populären TV-Cartoon, zeigt sie liebevolle Monsterpuppen, bunt und vergiftet auf der Grenze zwischen herzallerliebst und Horror. Auch ihre Sammlung von selbstgenähten Puppenkleidchen scheint aus dem Haushalt der Addams-Familie zu stammen: die Sachen passen für unterschiedlich lange Beine, oder drei Arme oder zwei Köpfe. Noch fieser sind die quietschbunten Poulettes. Diese „Hühnchen“ sind disneysierte Tiere aus Vinyl. Zerknautscht liegen die aufblasbaren Puppen auf gelben Luftmatratzen und präsentieren anzüglich Euter und Geschlechtsteile. Isabelle Jousset gibt der niedlichen amerikanischen Sonntagsnachmittags-Tierwelt nicht den neurotisch verdrängten Sex zurück, sondern übersteigert ihn sogleich ins kapitalistisch-perverse. Das disneysierte Kinderuniversum begibt sich in die Peep-Show, ein Zusammenhang, den die französische Künstlerin allerdings nicht als erste entdeckt hat.
Als Kontrastprogramm zum Ganzen zeigt das „Kabinett für Zeichnung“ scheinbar ganz konventionelle Porträts. Immer nach dem Modell zeichnet Goffredo Winkler seinen Blick auf individuelle Menschen. Es ist bezeichnend, daß dies heute an der Kunsthochschule äußerst schwer zu begründen ist, aber dennoch schließlich auf Zustimmung stieß. Goffredo Winklers Zeichnungen beziehen sich nicht in irgendwelchem Manierismus auf die Kunstgeschichte, sondern benutzen das Medium in ungebrochener Schlichtheit: „Ich habe keine Strategie, wie das gut wird, man muß sich immer wieder neu versichern, ob es funktioniert.“ Vielleicht ist das ja eine ebenso unspektakuläre wie angemessene Reaktion auf nur medial vermittelte Wahrnehmung.
Hajo Schiff
KX auf Kampnagel, Do-Sa 16-20 Uhr, bis 17. August.
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