Niederschmetternder Rückzug

■ Heute 3. Folge: Uwe M. Schneede, Direktor der Hamburger Kunsthalle, über die Sparmaßnahmen bei den staatlichen Museen und Wege aus dem kulturpolitischen Dilemma

Mit dem von O.M. Ungers entworfenen Neubau, der „Galerie der Gegenwart“, die Bundespräsident Roman Herzog im kommenden Februar eröffnet, wird die Hamburger Kunsthalle fast doppelt so groß und damit das an Ausstellungs- fläche wohl größte Kunstmuseum in Deutschland, einer Weltstadt angemessen.

Das neue Haus ist eine mächtige Herausforderung.Es muß, um seine ganze Ausstrahlung für Hamburg und über Hamburg hinaus zu entwickeln, ein künstlerisches und womöglich geistiges Zentrum werden.

Das verdoppelte Haus aber verlangt, soll es aktiv und verantwortlich bespielt werden, logischerweise (fast) doppelt so viel Personal. Doch aus den ursprünglich vom Senat bewilligten Stellen sind nach und nach etliche herausgestrichen worden. Mehr noch: Im Moment wird keine der freiwerdenden Stellen in der Kunsthalle mehr besetzt. Äußerst schwierige Voraussetzungen für die wirkungsvolle Einführung einer neuen Institution.

Hinzu kommen die Streichungen von Mitteln. Während der Ankaufsetat in den letzten Jahren im Hinblick auf den Neubau nicht geschmälert wurde, sind die beweglichen Mittel für die laufenden Ausgaben von 1992 (3,2 Mill.) bis 1995 (1,35 Mill.) um 58% gesunken. Das ist wahrhaftig kein gewöhnliches Den-Gürtel-enger-schnallen mehr, dessen Notwendigkeit ja keiner bestreitet, sondern ein niederschmetternder Rückzug der Stadt aus ihrer bildungspolitischen Verantwortung.

Demnach müßte die Kunsthalle nur noch ein Schatten ihrer selbst sein. Tatsächlich ist sie einigermaßen erfolgreich, und so ausgedörrt, wie die 58% vermuten lassen, wirkt sie keineswegs. Vielleicht liegt das daran, daß wir versucht haben, durch zusätzliche Aktivitäten und Verbesserungen des Publikumsservices das Ruder rechtzeitig herumzureißen.

Ich weiß auch nicht, ob es eine Witterung für die kommenden schwierigeren Zeiten oder nur das Verlangen war, aus der bestehenden Institution Kunsthalle noch mehr für die Kunst, das Publikum und die Stadt herauszuholen – jedenfalls haben wir 1993 mit einer Folge Ausstellungen begonnen, die sich als ziemlich attraktiv erweisen sollten: die Picasso-Ausstellung 1993, Meisterwerke aus dem Guggenheim-Museum 1994, Munch und Deutschland 1994/95, die Hockney-Ausstellung 1995, Turner in Deutschland und Egon Schiele in diesem Jahr. Die beträchtlichen Einnahmen aus diesen Veranstaltungen erhalten unseren Betrieb nicht nur aufrecht, sondern sie erlauben uns noch zusätzliche, auch riskantere Aktivitäten, die ebenso zu unseren Aufgaben gehören. Mit unseren verstärkten Anstrengungen versuchen wir, die staatliche Schwächeperiode zu kompensie- ren.

Zu unserem Glück haben sich auch Sponsoren wie beispielsweise Telekom, BMW, GlaxoWellcome und die Hamburger Gaswerke gefunden, die diese aufwendigeren Projekte und ihre Erfolge überhaupt erst ermöglicht haben.

Seitdem haben wir eine Perspektive für die Zukunft entwickelt, und das heißt für uns: eine Perspektive für die Sicherung der Aufgaben des Museums auch in Zeiten der Knappheit. Auf der Basis kaufmännischen Denkens müssen wir eine institutionelle Unabhängigkeit vom Staat erlangen, die uns jene Flexibilität erlaubt, welche von den staatlichen Haushaltsgesetzen weitgehend unterbunden wird.

Wir reden nicht nur von der Verselbständigung der Kunsthalle, wir arbeiten auch schon seit einiger Zeit daran. So haben wir neben der staatlich vorgeschriebenen Kameralistik bereits eine Gewinn- und Verlustrechnung eingeführt, die uns regelrecht kaufmännisch agieren läßt. Der Zweck: aus geringeren staatlichen Mitteln mehr Effekt zu schlagen. Aber viele Hindernisse bleiben noch: daß man einen eventuellen Gewinn nicht übertragen, daß man keinen Kredit aufnehmen, daß man nicht langfristig planen kann, vor allem daß die Stadt sich nicht fest an den bildungspolitischen Auftrag ihrer Einrichtungen gebunden fühlt – was wir von der Stadt erhalten, sind jederzeit widerrufbare „freiwillige Zuwendungen“. Auf so wackliger Basis kann es für ein Institut, das in der internationalen Zusammenarbeit ein verläßlicher Partner sein muß, nicht weitergehen.

Ich meine, die Kunsthalle sollte eine Stiftung werden, die vertraglich vereinbarte Bildungsaufgaben im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg wahrnimmt und die durch ihren unabhängigen Status mehr Freiheit und Flexibilität im Umgang mit den staatlichen Mitteln und mit ihren eigenen Einnahmen wie im Umgang mit Sponsoren hat.

Der Staat ist damit keineswegs aus seiner Pflicht entlassen. Wir nehmen mittlerweile ein Drittel unseres Gesamtetats (einschließlich Personal) selbst ein. Das ist für eine nichtkommerzielle kulturelle Einrichtung ungewöhnlich viel. Die staatliche Grundlage allerdings ist dafür unabdingbar.

Wir haben uns bereits neue Geldquellen erschlossen, und wir werden uns weitere erschließen, und zwar nicht um des Geldverdienens willen, sondern um unsere eigentlichen Aufgaben – Bewahren, Sammeln, Forschen, Vermitteln – weiterhin und möglichst noch attraktiver erfüllen zu können.

Aber das alles macht nur Sinn, wenn das kaufmännische Denken, das flexible Handeln und die langfristige Planungssicherheit durch eine neue Rechtsform, die Stiftung, nicht nur legitimiert, sondern sogar gefördert werden, und wenn so unsere Arbeit mit der Kunst und für das Publikum immer noch weiter verbessert werden kann.

Wir können, denke ich, die Flaute überwinden durch neue Ideen und neue Strukturen, sofern die Freie und Hansestadt Hamburg nicht von ihren Pflichten abläßt, und das bedeutet: fest vereinbarte, dauerhafte Zuwendungen. Ohne ausreichende finanzielle Leistungen der Stadt keine Bildungsleistungen des Museums.

Sollte sie indes keine Bildungsleistungen und nur ein Provinzmuseum oder einen Kommerzladen wollen, muß sie das laut und vernehmlich sagen.