Mit dem Schnellzug in den Knast

■ Der Chef der französischen Bahn bleibt in U-Haft und tritt zurück. Die Sanierung des Staatsbetriebs mit dem Superdefizit gestaltet sich damit noch schwieriger

Paris (taz) – Bei der französischen Staatsbahn klappt einfach nichts mehr. Zu der Milliardenverschuldung, dem Juppé-Sanierungsplan und dem wochenlangen Streik im vergangenen Herbst hat sie jetzt auch noch ihren Chef verloren. Loik Le Floch-Prigent sitzt seit zwei Wochen wegen Veruntreuung und Bilanzfälschung in Untersuchungshaft und hat gestern seinen Rücktritt erklärt, nachdem die Justiz am Donnerstag seinen Antrag auf Haftentlassung abgelehnt hatte. Statt die Übel der Bahn zu lösen, wozu ihn Staatspräsident Jacques Chirac gerufen hatte, ist der renommierte Sanierer nun selbst zum Problem geworden.

Angefangen hat die Talfahrt der SNCF bereits zu Beginn der 90er Jahre. Seither ist ihr Defizit stetig gestiegen, wozu die Milliardeninvestitionen in die Hochgeschwindigkeitsbahn TGV einen großen Teil beigetragen haben. Ende vergangenen Jahres betrug das Loch mindestens 175 Milliarden Francs (53 Milliarden Mark). Nach anderen Quellen war das Defizit schon damals 230 Milliarden Francs – jedenfalls brachte es der SNCF den Rekord ein, das höchstverschuldete französische Staatsunternehmen überhaupt zu sein. Im vergangenen Jahr, so interpretierten die Manager später, habe die Angst vor Bombenattentaten und der beinahe vierwöchige Streik der Eisenbahner zu den Schulden beigetragen.

Jedenfalls legte die französische Regierung im Herbst 1995 einen Sanierungsplan für das Unternehmen mit seinen knapp 180.000 Mitarbeitern vor. Unter anderem waren Stellenstreichungen, Streckenstillegungen, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit und eine Rentensenkung vorgesehen. Die Eisenbahner traten in den bekannten Streik und wurden zur Speerspitze jener Bewegung, die heute schon als historisch gilt. Damit brachten sie nicht nur den Sparplan für die Bahn zu Fall, sondern auch ihren Chef, an dessen Stelle am 20. Dezember dann Le Floch- Prigent trat.

Von dem Auftrag, den Le Floch-Prigent erhielt, konnte er in der kurzen Zeit noch nicht viel erledigen. Immerhin hat er es geschafft, die innerbetrieblichen Wogen soweit zu glätten, daß die Eisenbahnergewerkschafter nach seiner Inhaftierung laut und ratlos „Hilfe“ riefen. Sie lobten nicht nur die Zusammenarbeit mit dem Knacki, sondern verlangten auch von der Regierung, daß sie ihre Zusagen vom Juni als Gesetz festhalten möge.

In diesem neuen Projekt ist vorgesehen, daß die SNCF nach deutschem Muster Anfang 1997 in zwei Betriebe gegliedert wird: eine Betriebsgesellschaft für den Personen- und Güterverkehr und eine staatliche Gesellschaft für Finanzierung, Bau und Unterhalt des Schienennetzes und der Liegenschaften. Außerdem soll sie regionalisiert werden.

Die Regierung versichert, daß mit dem Projekt nicht die Einheit der SNCF in Frage gestellt sei. Auch der Status der Eisenbahner solle erhalten bleiben. Aber Oppositionspolitiker und Gewerkschafter sind skeptisch. Sie befürchten, daß daraus langfristig eine Privatisierung werden könnte, und daß sich hinter der Regionalisierung in Wirklichkeit Streckenstillegungen verbergen.

Der Nachfolger von Le Floch- Prigent, über dessen Person sich die französische Regierung noch in Schweigen hüllt, hat keine leichte Aufgabe: Ein hochverschuldetes Unternehmen, massive Sparauflagen, keine Aussichten auf zusätzliche Kundschaft und eine kampfbereite und -erprobte Belegschaft. Mehrere französische Spitzenmanager winkten in den vergangenen Tagen bereits ab. Für soviel Ärger – wissen sie – können sie anderswo mehr verdienen. Dorothea Hahn