Versilbern!

Sportliche HamburgerInnen: Sandra Völker Olympia-Zweite in Atlanta und Jan Ullrich Zweiter bei der Tour de France  ■ Von Sven-Michael Veit

Ihre Freude konnte sie nicht verhehlen und einen kleinen Seitenhieb sich nicht verkneifen: „Jetzt hab' ich es euch doch wohl gezeigt“, sagte Sandra Völker. Und in ihrer Stimme schwang mehr als nur ein triumphierender Unterton mit. Zu recht: Gestern früh (MEZ) feierte die Schwimmerin der SG Hamburg ihren bislang größten internationalen Triumph, und gleich einen dreifachen.

Mit dem zweiten Platz im olympischen Finale über 100-Meter-Freistil gelang Sandra Völker nicht nur der – überfällige – Nachweis, Weltspitze zu sein. Sie ließ zudem ihre große Rivalin, Deutschlands Schwimm-Star Franziska van Almsick, in deren Schatten die 22jährige seit Jahren steht, um drei Plätze hinter sich. Und ihr gelang ein kleiner Sieg über die Funktionäre des Deutschen Schwimmverbandes (DSV), zu denen sie traditionell ein nicht ungetrübtes Verhältnis hat.

Seit Jahren schuftet die Modellathletin für sich allein im Olympiastützpunkt Dulsbergbad, trainiert von ihrem Coach und inzwischen auch Lebensabschnittspartner Dirk Lange. Bei den DSV-Hierarchen, die kurze Leinen schätzen, sind die beiden nicht übermäßig gelitten: So mußte Lange auf eigene Kosten nach Atlanta jetten, dem Verband war Reise und Logis für ihn zu teuer.

Aber auch ohne den intensiven Kontakt zu ihrem Freund und Trainer, den sie nur gelegentlich außerhalb des Olympischen Dorfes treffen kann, schaffte die gebürtige Lübeckerin gestern den Triumph. In persönlicher Bestzeit von 54,88 Sekunden – und damit erstmals unter der magischen 55-Sekunden-Grenze – war die zwölffache Sprint-Europameisterin durchs Becken von Atlanta gekrault, nur die chinesische Weltrekordlerin Jingyi Le war noch 38 Hundertstelsekunden schneller. Ein Resultat, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Eine Endlaufchance hatten Völker die Experten eingeräumt, sie selbst hatte „ein bißchen mit Bronze“ geliebäugelt.

Die überraschende Silbermedaille gilt es nun zu versilbern: Der Rubel, der bislang allenfalls kullerte, dürfte nun auch für sie rollen. Von millionenschweren Werbeverträgen, wie sie „Franzi“ seit Jahren in der Tasche hat, durfte die Wirtschafts-Gymnasiastin, die im Herbst ihr Abitur bauen will, allenfalls träumen.

Jan Ullrich ist da schon einen Schritt weiter: Dem Senkrechtstarter bei der Tour de France sind ein neuer – und mit rund einer halben Million Mark Jahresgehalt dotierter – Vertrag bereits sicher; aus den reichlich eingehenden Werbeangeboten wird der 22jährige Hamburger in aller Ruhe aussuchen können. Die Experten von Ex-Weltmeister Rudi Altig bis hin zum Stunden-Weltrekordler Tony Rominger (Schweiz) sind sich einig: „Jan Ullrich hat das Zeug, die Tour einmal zu gewinnen.“

Bei seiner ersten Teilnahme am schwersten Radrennen der Welt schwang sich der gebürtige Rostocker zum Triumphator auf. Nur 101 Sekunden fehlten ihm zum Gesamtsieg, den er seinem Team-Kapitän Bjarne Riis aus Dänemark überließ – oder überlassen mußte. Am Sonnabend hatte er nach drei Wochen konstanter Spitzenleistungen noch einmal groß zugeschlagen. Bei der vorletzten Etappe, einem 63,5 Kilometer langen Einzelzeitfahren, hatte er die gesamte Weltspitze deklassiert: Dem fünfmaligen Tour-Sieger Miguel Indurain (Spanien) nahm er fast eine Minute ab, seinen Kapitän Riis ließ er um mehr als zwei Minuten hinter sich.

In Atlanta wird Ullrich jedoch nicht starten. Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) hatte den Amateur-Weltmeister von 1993 vor die Wahl gestellt : Tour oder Atlanta. Ullrich „juckt“ das nach eigenem Bekunden nicht mehr: „Ich setze mich vor den Fernseher und gucke mir das Olympia-Rennen an.“

Siehe auch Berichte in den überegionalen „Leibesübungen“; Einzelresultate auf Seite 24.