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Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 7

Hallo, York! grüßte Brook seinen Informanten, der seinen Blick auf die fetten Leiber dicht unter der Wasseroberfläche richtete. Hallo, Kommissar! grüßte Informant seinen Brook, der ein Stück angegammeltes Rindfleisch hinter seinem Rücken verbarg. Hast du eine Information, Informant! informierte sich Brook. Hast du einen Köder, Kommissar? fragte Informant. Brook schleuderte hinter seinem Rücken den stinkenden Kadaver auf den nassen Beton. Informant puhlte Made um Made aus dem Fleisch. Sie sahen auf. Der Himmel hing voller Vögel, und die Maden schneckten in allen Richtungen auf und davon, während Informant das Fleisch in kleine und noch kleinere Stücke riß. Kommissar, da beißt jeder Braune! Informant drückte einen Stacheldraht durch das welke Fleisch und ließ ihn ins Wasser abtauchen. Hamburger, Currywürste und Pizza kommen auch gut an, aber altes Fleisch, Kommissar, ich könnte Ihnen Geschichten erzählen, erzählte Informant aber nicht. Erzähl mir meine Geschichte, York! Ihre Geschichte, Brook! Haben wir denn einen Fall? Brook gab sich die Ohrfeige mit linken Hand; für sein Alter, für alte Fehler und fehlerhafte Gewohnheiten. Informanten nach Informationen zu melken, die Informant nicht haben konnte, weil Brook ihn noch nicht gefüttert hatte, das ging auf keine Kuhhaut. Brook hatte schließlich noch keinen Fall; darin lag sein Vergessen. Informant packte plötzlich den Stacheldraht mit beiden Händen und zog. Und zog. Und zog eine braune Wasserratte aus der Elbe. Für jedes Stück krieg ich 'ne Mark von der Stadt! Aber den Braunen nehme ich mir mit auf meine Bude!

Abendbrot? fragte Brook. Abendbrot! antwortete Informant. Dann zählte Informant seinen Fang in dem Mülleimer ab. Es waren siebenundreißig Erreger weniger in Hamburg am Leben.

Wenn die Spatzen ausgehen

Alles über Herbert Schmackes, der Bekanntschaft mit der Langeweile macht, an ihrem Gähnen krepieren wird und einem laufenden Harzer Käse auf dem Schrank

Im Hinterhof bettelte Herbert durch sein Revier. Seine Haltung war sonderbar. Mit gesenktem Kopf, die Nase hündisch gegen den Boden gerichtet, schien er eine Witterung aufzunehmen. Vielleicht lag es aber auch an seinem krummen Rücken. Auf jeden Fall folgte seine Nase einer Duftstraße, die ihm dem Weg zu seinen sechzehn Mülltonnen führte. Sie standen alle unter seinem persönlichen Schutz. Seit Jahren. Vor Ratten, Pennern, Kindern und dem nächsten Krieg. Alles für nichts! Natürlich, nicht! Die Mülltonnen gaben Herbert, was des Herberts Schätze waren. Schon scheuchte Herbert die Deckel auf. Sie klappten ohne ein Murren auf. Einen Kanten Brot nahm er, einen Schluck Bier aus einer Dose und eine Handvoll Kartoffelschalen. Er stopfte sich alles in den Mund. Seine Zunge suchte das welke Fleisch unter den Kartoffelschalen ab. Da versteckten sich schließlich die Vitamine. Das hatte Herbert noch aus dem zerbombten Hamm in Hamburg, Operation Gomorrha; dieses Ding, vom Müll zu leben. Und das bißchen Dreck hatte ihm noch nie geschadet, auch jetzt nicht, im Alter von 72 Jahren.

Herbert kicherte seiner Enkelin, Denise, zu. Seine Augen waren Kinder. Sie frechten. Sie schalkten. Sie hatten Geheimnisse vor den neuen Erwachsenen; einer Generation, der Herbert sich entzog. Denise folgte Herbert in den Hinterhof, begleitet von Carola, einer siebzehnjährigen Nachbarin, mit ihrem zwölf Monate alten Wurf und dem nächsten Kind im Bauch. Es war von Weizen, dem Führer der nationalen Brauns in St. Georg: Nach drei Monaten schon ein Arsch in Sachen Partnerschaft und im Stechen ohne Kondome. Und sie waren auf dem Weg in die Waschküche, in ihren Biotop städtischen Lebens.

(Fortsetzung folgt)

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