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: Metamorphosen des Pop: Cassandra Wilson im Tränenpalast

Ein bißchen anfällig für Heilsphantasien wird man schon, wenn einen das erste Mal Cassandra Wilsons Charme streift: Dann sieht man die amerikanische Jazzsängerin singend durch Bikerkneipen, Popkonzerte und Undergroundclubs ziehen, und wo sie auch ist, überall hinterläßt sie glückliche und von ihren eindimensionalen Hörideen befreite Menschen.

Die schwarze Sängerin mit den Dreadlocks scheint eine Art Röntgenblick für popmusikalisches Terrain zu besitzen. Sie wendet ihn auf Songs an, die sich für Jazzharmonik und Improvisation eignen, formuliert sie ihrem eigenen Metier gemäß um und fasziniert damit Musikbanausen und „Avantgarde“-Puristen gleichermaßen. Sie singt „Love Is Blindness“ von U2, adaptiert „Harvest Moon“ von Neil Young oder „I'm So Lonesome I Could Cry“ von Hank Williams, und es klingt so, als seien das schon immer Jazznummern gewesen.

Gleiches gilt für Cassandra Wilsons Eigenkompositionen, die Rudimente ihrer Folk-Vergangenheit mit Soul und Blues verbinden. Ihre tiefe, rauchige Stimme – in ihrer Altschönheit von einem kleinen Lispeln zu Eigenheit geformt – läßt daraus unweigerlich Jazz werden. Was Wilsons Musik so ungewöhnlich macht, ist die dynamische und spannungsreiche Modulation ihrer Stimme. Die Instrumentierungen und Arrangements der Stücke sind von großer Klarheit, extrem zurückgenommen und tun so ein übriges. Essentials verschiedener Sparten treffen sich in einer Schräglage und skizzieren so den Hintergrund für Wilsons Interpretation.

Vielleicht mag man die allzu sinnlich-mystische Aufmachung ihrer aktuellen Platte, „New Moon Daughter“, (1996) nicht, vielleicht gefallen einem auch solche in die glatt-unterhaltende Ecke gerutschte Lieder wie das vom Geiger Charlie Burnham begleitete „A Little Warm Death“ nicht. Aber wenn Frau Wilson „Death Letter“ von Son House singt, dann möchte man eben den Blues – Verzeihung, Jazz – von niemand anderem mehr hören. Gaby Frank

Heute ab 21 Uhr, im Tränenpalast, Friedrichstraße