: Mancher fühlt sich wie im Zoo
Mit Dreilinden gibt es erstmals einen offiziellen Stellplatz für Sinti und Roma – allerdings nur bis zum Herbst. Um Konflikte wie 1995 zu vermeiden, sind irische Wanderarbeiter nicht mehr erwünscht ■ Von Dorothee Winden
Sie haben eine Odyssee hinter sich. Seit März ist die Familie Rosenbach mit ihren zwei Wohnwagen in Berlin. Wie jeden Sommer kommt die in Köln lebende Familie hierher, um auf Wochenmärkten in und um Berlin Lederjacken zu verkaufen. Als sie im März ankamen, war der Stellplatz für durchreisende Sinti und Roma in Dreilinden noch geschlossen. Zwei Nächte parkte die Familie mit mehreren kleinen Kindern auf einem Parkplatz am Teufelsberg. Von dort verscheuchte sie die berittene Polizei. Sie sollten den Parkplatz in der Charlottenburger Glockenturmstraße ansteuern, hieß es.
Der direkt neben der Waldbühne gelegene Parkplatz ist aber für die in Berlin ansässigen Sinti und Roma reserviert. Doch weil abzusehen war, daß mit der Eröffnung des Stellplatzes in Dreilinden nicht vor Mitte Juli zu rechnen war, konnten sie erst einmal dort bleiben. Der Parkplatz in der Nähe des Olympiastadions liegt idyllisch. Bäume säumen den runden Platz, der teils mit feinem Schotter bedeckt ist, teils mit Gras überwachsen ist. Doch den Rosenbachs gefiel es dort nicht. „Der Platz war staubig“, verzieht eine junge Frau der Familie das Gesicht. Und die Besucher der Waldbühnenkonzerte hätten auf den Parkplatz gepinkelt, zum Teil direkt neben die Wohnwagen.
Rosenbachs zogen weiter, auf einen Parkplatz am Nonnendamm. Als am Mittwoch dieser Woche endlich der Stellplatz im früheren Stauraum Dreilinden eröffnete, zogen sie wieder um. „Es ist hier besser als im letzten Jahr“, meint eine junge Frau im geblümten Sommerkleid. Es gibt mehrere Dusch- und Toilettencontainer und einen Container mit drei Waschmaschinen. Ein Notstromaggregat beliefert die Wohnwagen mit Strom. Auch für Abwassercontainer, die zwei- bis dreimal in der Woche von der Berliner Stadtreinigung geleert werden, ist gesorgt. Und in den beiden weißen Containern am Eingang des Platzes soll bald Schulunterricht für die Kinder und Jugendlichen stattfinden.
Trotzdem, die junge Frau würde lieber „auf einer Wiese“ an einem Waldrand stehen, als auf den asphaltierten Fahrbahnen, die von schmalen Baumreihen getrennt werden. „Aber dann werden wir wegen wildem Camping vertrieben“, sagt sie. „Früher ist unsere Familie im Sommer durch ganz Europa gefahren. Aber seit mein Vater gestorben ist, der alle Plätze kannte, bleiben wir in Deutschland.“
Der Nachwuchs der Rosenbachs kurvt auf Dreirädern über den Asphalt, die Älteren sitzen unter dem Vorzelt vor dem Wohnwagen. Der Medienrummel geht so manchem auf die Nerven. Am Vorabend ist ein Kamerateam des Senders Freies Berlin mit dem Wagen durch die Reihen gefahren und hat aus dem Auto heraus gefilmt. Einige Familien fühlen sich wie im Zoo, und auch der 24jährige Sohn der Rosenbachs will keine Fotografen sehen. „Im Dritten Reich haben die Nazis die Sinti fotografiert. Das haben uns unsere Eltern erzählt“, sagt der junge Mann. Akribisch haben sogenannte Rassenforscher die Körpermerkmale von Sinti und Roma vermessen und dokumentiert. Der systematischen Erfassung folgte der Abtransport in die Konzentrationslager.
Der junge Rosenbach, der seinen Vornamen nicht nennen will, hat Angst, von Skinheads überfallen zu werden. „Wir waren in Rostock auf dem Campingplatz. Da haben Skins unseren Wagen demoliert“, sagt er und zeigt auf eine zerborstene Plexiglasscheibe.
Eine Frau, die aus dem Container mit den Waschmaschinen kommt, wendet sich an Walter Kirz. Der Referent für ethnische Minderheiten bei der Senatsverwaltung für Jugend und Familie hat den Stellplatz bereits im letzten Sommer betreut und ist Anlaufstelle für Bewohner und Behörden. In diesem Jahr hat er Verstärkung bekommen. Die Caritas stellt mit Gerd Melinat einen Platzwart, der die Standgebühr von 20 Mark pro Tag und Wagen kassiert und sich um kleinere Reparaturen kümmert.
„Meli“ nennen die Bewohner der derzeit rund 30 Wagen den schlaksigen Mann mit dem Pferdeschwanz. Eine Sozialarbeiterin wird noch gesucht. Noch fällt diese Rolle Walter Kirz zu. „Die Frauen zanken sich wegen der Waschmaschinen“, sagt die Frau. Sie schlägt vor, daß jede Familie einen Waschtag zugewiesen bekommt. „Sonst schließen Sie den Container eben ab, und dann müssen alle in der Stadt waschen gehen.“ Kirz verspricht, eine Lösung zu finden.
Der 54jährige Politologe hat seinen Arbeitsplatz wieder vorübergehend nach Dreilinden verlegt. Im vergangenen Sommer hatte er seinen Golf, durch dessen undichtes Schiebedach der Regen tropfte, in ein mobiles Büro verwandelt. Jetzt sitzt er im Trockenen, in einem kleinen Büro im Baucontainer. Ein Radioapparat und ein Handy sind seine Verbindungen zur Außenwelt.
Kirz redet beschwichtigend auf eine ältere Anwohnerin am Nonnendamm ein. Sie beschwert sich über den Müll, den die Sinti hinterlassen haben. Kirz sichert ihr zu, daß die BSR alles aufräumen wird, sobald die letzten Wohnwagen nach Dreilinden umgezogen sind. Die Tür geht auf, zwei Mädchen auf Rollschuhen und zwei kleine Jungs kommen hereingeschossen. Sie zeigen auf die bebilderten Zeitungsausschnitte, die Kirz in Klarsichthüllen an die Wand geklebt hat. „Wir wollen auch ein Foto haben“, verlangen sie. Ein Wunsch, der mangels Kopierer unerfüllt bleiben muß.
„Seit Februar haben bei mir Familien aus Westdeutschland angerufen und sich erkundigt, wann der Stellplatz in Dreilinden eröffnet“, berichtet Kirz. Doch aus der Absicht des Senats, in diesem Jahr einen dauerhaften Stellplatz einzurichten, wurde nichts. Es blieb beim Provisorium. Ende Oktober müssen alle Leitungen und Container wieder abgebaut werden. Ein dauerhafter Anschluß an das Abwasser- und Elektrizitätsnetz sowie winterfeste sanitäre Anlagen würden etwa 3,1 Millionen Mark kosten. Doch Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) blieb auf Sparkurs.
Selbst für das Provisorium erhielt die Senatsverwaltung für Jugend, Schule und Sport keine zusätzlichen Mittel. Ohne Jugendsenatorin Ingrid Stahmer (SPD), die in ihrer Verwaltung eine Umschichtung von 400.000 Mark durchsetzte, wäre der Platz jetzt noch geschlossen. Im Vergleich mit Hamburg und München, die schon seit fünfzehn Jahren einen dauerhaften Stellplatz für Sinti und Roma haben, schneidet Berlin weiterhin schlecht ab.
Gar keinen Stellplatz gibt es gegenwärtig für irische Wanderarbeiter. Nachdem es im letzten Jahr zu Reibereien zwischen den Wanderarbeitern und Sinti gekommen war, hatte der Senat sich entschieden, beide Gruppen künftig getrennt unterzubringen. Ethnisch können die irischen traveller nicht den Roma und Sinti zugeordnet werden. Zwar sind die Wanderarbeiter Mitglied in der Internationalen Roma Union, doch im Grunde beschränken sich die Gemeinsamkeiten auf das saisonmäßige Leben im Wohnwagen. Seit März ist Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) für die Wanderarbeiter zuständig. „Es steht noch nicht fest, wohin die gehen sollen“, erklärt Pressesprecherin Beate Moser.
So sind Wanderarbeiter quasi gezwungen, illegal zu kampieren. Als sich vor einigen Wochen eine Gruppe Wanderarbeiter auf dem Gelände eines Reitclubs in Treptow niederließ, beantragte der Besitzer nach einigen Tagen die Räumung. Wo sie jetzt sind, ist unbekannt. Fast scheint die Senatsverwaltung zu hoffen, daß sich das Problem in Luft aufgelöst hat. Auf die Frage, ob derzeit nach einem geeigneten Stellplatz gesucht werde, anwortet die Pressesprecherin: „So kann man das nicht sagen.“
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