Der Aufguß-Traum ist enttarnt

Ein mühsamer Auftaktsieg läßt ahnen: Die NBA-Götter können auch nicht mehr als Basketball spielen – und das nicht immer überirdisch gut  ■ Aus Atlanta Matti Lieske

Der Sprecher der Firma Nike brachte den olympischen Geist von Atlanta bei der Präsentation seiner Aushängeschilder Scottie Pippen und Penny Hardaway mit der dem Unternehmen eigenen dreisten Geschmacklosigkeit auf den Punkt: „Martin Luther King had a dream. We have a Dream Team.“ Und wäre er nicht vor etlichen Jahren von einem geschäftsschädigenden Banausen erschossen worden, dann hätte der brave Reverend am Freitag zusammen mit Muhammad Ali das olympische Feuer entzündet – mit passendem Schuhwerk ausgestattet, natürlich. So stellt sich der Nike- Mann das vermutlich in seinen Träumen vor.

Der Traum vom Dream Team hat immerhin den Vorteil, daß er wahr wird. Der Nachteil ist, daß es sich bereits um den dritten Aufguß handelt. Im Vorfeld spielte das keine Rolle, der Rummel war gewaltig, und die Regie der Großbildleinwand im Olympiastadion tat gut daran, die Basketballer beim Einmarsch des US-Teams, im Gegensatz zu NBC, so gut wie gar nicht einzublenden. Wurden die Zuschauer nur eines Zipfels von Karl Malone oder Charles Barkley gewahr, begannen sie zu toben wie sonst den ganzen Abend nicht, was den anderen Sportlern gegenüber nicht gerade fair war.

Auch bei ihrem ersten Match im Georgia Dome wurden die NBA- Cracks frenetisch begrüßt, allen voran Shaquille O'Neal. Doch schon nach wenigen Minuten wurde es recht still in der Arena, denn das Publikum hatte bemerkt, daß es allem Ballyhoo zum Trotz ein ganz gewöhnliches Basketballspiel sah – und nicht einmal ein gutes. Das Malheur begann bereits damit, daß das US-Team, als zum „traditionellen Tausch von Geschenken vor dem Spiel“ gebeten wurde, nichts dabei hatte. Dann verlor David Robinson den Jump Ball, leisteten sich John Stockton und Reggie Miller in schneller Folge zwei Ballverluste, und Argentinien ging in Führung. Welch ein Frevel!

„Wir sind am Anfang zu sorglos mit dem Ball umgegangen“, rügte Coach Lenny Wilkens, und Robinson stellte fest: „Die Argentinier haben simple Spielzüge vorgeführt, und wir sind hinterhergelaufen.“ Anstatt „an den Standard von 1992 anzuknüpfen“ (Robinson), ging jede Menge schief. „Wenn du zwölf Leute hast, die alle Fehler machen“, grämte sich der Center aus San Antonio, „ist das sehr frustrierend.“

Das Dream Team III hatte geglaubt, die Gegner mit seinen spielerischen Mitteln ohne große Mühe vorführen zu können, und mußte schnell einsehen, daß ihm dazu der Biß, die Brillanz und das Charisma eines Michael Jordan, Magic Johnson oder Larry Bird fehlen. Zwar ließen vor allem Grant Hill und Penny Hardaway hin und wieder ihr Genie aufblitzen, aber Leute wie Pippen, Barkley, Malone, Miller, Olajuwon oder Robinson müssen ackern, um glänzen zu können. Tun sie dies, ist es nicht unbedingt das, was die Leute sehen wollen. Tun sie es nicht, reicht eine brave, gutorganisierte Mannschaft wie Argentinien, um sie in Schwierigkeiten zu bringen. „Der Unterschied ist kleiner geworden“, stellte Lenny Wilkens fest. „Zwar haben wir die Fehler gemacht, aber die Argentinier haben Kapital daraus geschlagen. Das war nicht immer so.“ Vor vier Jahren wären die Kontrahenten noch in Ehrfurcht erstarrt gewesen. „Unser Job ist es, ihnen die Ehrfurcht wieder einzuflößen“, sagt David Robinson.

Bis zur Halbzeit ging das gründlich daneben. Da stand es bloß 46:44 für die USA, spektakuläre Szenen, wie sie in Barcelona im Minutentakt geliefert wurden, waren äußerst selten, und den größten Beifall hatten bis dahin Arnold Schwarzenegger und Muhammad Ali auf der Tribüne bekommen. Nach der Pause war das US-Team erheblich wacher. „Wir spielten aggressiver, bewegten den Ball besser und haben mehr die Positionen gewechselt“, sagte Wilkens, außerdem, so David Robinson, habe man „herausgefunden, wer ihr Top-Scorer ist. Ein Typ hatte schon zwanzig Punkte.“ Der Typ hieß Juan Espil und schaffte nach seiner Enttarnung noch sieben Zähler.

Vor allem die robusten Dunks von Shaq sorgten dann doch noch für etwas Stimmung, und am Ende wurde gegen die konditionell nachlassenden Südamerikaner sogar noch ein standesgemäßer Vorsprung herausgespielt, auch wenn diese die großen Ziele jedes Gegners der USA – weniger als 100 Punkte kassieren und den Abstand kleiner als 30 halten – gerade so schafften: Das Match endete 96:68.

Während die Argentinier strahlend in die Runde winkten, trotteten die großen Stars mit eher betretenen Gesichtern vom Feld. Und auch das Publikum wirkte ernüchtert. Einen glanzlosen Arbeitssieg seiner Helden hatte es wahrhaftig nicht sehen wollen. Manchmal ist es eben doch besser, wenn Träume auch Träume bleiben.