Von freien Wahlen zu sprechen, ist unredlich

■ betr.: „Ende des Feudalismus“ von Klaus-Helge Donath, taz vom 5. 7. 96

[...] An der Wiederwahl eines Präsidenten, unter dessen Herrschaft sich die soziale Polarisierung verschärft hat (ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze), die entscheidende Spaltung der Gesellschaft also eine Klassenspaltung ist, erst sekundär eine zwischen Stadt- und Landbevölkerung, wie der Kommentator meint, ablesen zu wollen, die Epoche des Feudalismus ginge damit zu Ende und Rußland habe einen gewaltigen Schritt nach vorn gemacht, zeigt nicht nur ein unscharfes begriffliches Instrumentarium angesichts der tatsächlichen Verfassung Rußlands (Desinteresse an wirklicher Analyse?), sondern v.a. – die Wahl wird als einziges Kriterium angeführt, um oben genanntes Ergebnis konstatieren zu können – Anbiederung an die (gerade hierzulande) herrschende Ideologie. Von freien Wahlen zu sprechen ist unredlich, bezieht man den enormen Einsatz propagandistischer Mittel (Staatsfernsehen) sowie die massive finanzielle Unterstützung Jelzins (auch von seiten der deutschen Regierung) in die Überlegungen mit ein. [...] Michael Wißmiller, Mindelheim

Die Russen haben gewählt wie wir westliche „rechtsstaatliche Demokraten“! Lob von FAZ bis taz!

Die „Jugend“ wird für ihr unerfahrenes Votum gelobt, weil sie konservativ wählte. Im Westen sind es die Alten.

Jelzin, der wie ein seniler Feudalherr regierte, selbst Kommunist, nur opportunistischer, wird zum Garanten von Demokratie, Marktwirtschaft, bla, bla, bla... hochgejubelt. Er verspricht, das sieche westliche System zu kopieren, und das sei brav. Er führt Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Schutz der Reichen und der kriminellen Banden ein, opfert wesentlich mehr Menschen dem allein selig machenden Autoverkehr, sichert Korruption und Einfluß der reichen Figuren und mächtigen Gruppen, erhält den Segen der Kirchen, die Jahrhunderte unterdrückten, mordeten, denunzierten für irdischen Mammon. Jelzin reiht sich in die Galerie westlicher und amerikanischer Präsidenten ein, wo Intelligenz und Ideenreichtum die negativsten Eigenschaften für Spitzenpolitiker sind. [...] Ludwig Berger, Buchen