Das Portrait
: Kein typischer Däne

■ Bjarne Riis

Auf allen Straßen des Landes sieht man die vier großen Buchstaben in weiß: R-I-I-S. Dänemark ist aus dem Häuschen. Heute gegen 15 Uhr landet der allererste dänische Tour-de-France-Sieger im Kopenhagener Flughafen Kastrup! Dann fährt Bjarne Riis im Cabriolet zum Rathaus, wo ihm – wie 1992 den Fußball-Europameistern – gehuldigt wird.

In seiner Heimatstadt Herning in Jütland streiten sich die Kommunalpolitiker, ob sie dem berühmten Sohn der Stadt die Ehrenbürgerwürde verleihen sollten. Im Fernsehen laufen Umfragen über seinen Sex-Appeal (“Er ist ganz süß. Wenn er bloß nicht diese Glatze hätte“), und aus den Archiven wurde ein 20 Jahre altes Fernsehinterview ausgegraben, wo er (damals noch mit Haaren) Auskunft über Schutzhelme gibt. Dabei ist der Profiradler Riis (32) gar kein typischer Däne. Er wohnt seit zwölf Jahren in Luxemburg (wo die Steuern erheblich niedriger sind als in Herning). Zwar spricht er den jütländischen Dialekt seiner Heimatstadt, aber nach zehn Profijahren in halb Europa kann er bei Pressekonferenzen unbeschwert zwischen den Sprachen wechseln.

Normalerweise herrscht in Dänemark das Jante-Gesetz: Du sollst nicht glauben, daß du etwas kannst oder daß du jemand bist! Riis hält sich nicht an dieses Gesetz. Schon vor der Tour glaubte er an sich – wurde aber außerhalb Dänemarks kaum ernst genommen, als er davon sprach, das Rennen zu gewinnen. Als er bei einem informellen Pressetreffen in der Bar des Hotels Sofitels in Bordeaux die Journalisten empfing, war er so überzeugt von seiner eigenen Größe, daß er sich abwertend über seinen jungen deutschen Mannschaftskollegen Jan Ullrich äußerte, der 1.41 Min. hinter ihm Zweiter wurde: „Er ist zwar ein hervorragender Radfahrer, aber manchmal benimmt er sich, als sei dies die Hessenrundfahrt.“ Nichtsdestotrotz hat Riis dem darbenden Profi- Radsport in Deutschland eine völlig neue Perspektive gegeben. Und den Telekom- Manager, im vergangenen Sommer kurz vor dem Aufgeben, gestern einen ungeplanten Paris-Trip beschert.

In der Hotelbar wurde Riis auch gefragt, ob er es bedauere, daß er nicht mehr 25 sei: „Forever young“, sagte Riis und lachte: „Die Karriere von Raymond Poulidor dauerte, bis er 42 war. Also bleiben mir noch etwa zehn gute Jahre.“ Niels Rohleder