Mehr Plutonium als beantragt

Abriß der MOX-Fabrik in Hanau: Über 30 Tonnen Bombenstoff sollen mit der Bahn abtransportiert werden  ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt

„Von der gesamten Plutoniummenge können sich Teilmengen von bis zu 70 Kilogramm Plutonium in den Fertigungshallen I und II der Anlage, 99 Kilogramm Plutonium im nicht verbunkerten Teil des Spaltstofflagergebäudes und 200 Kilogramm Plutonium im Raum 6 des Spaltstofflagergebäudes in Typ B Transportbehältern befinden.“ Das schreibt Siemens im Antrag für das „Leerfahren“ der Hanauer Altanlage zur Herstellung von Mischoxid- (MOX-) Brennelementen. Können sich befinden? Die Weltfirma Siemens weiß offenbar selbst nicht so ganz genau, wieviel Plutonium und auch Uran sich noch in der zur Abwrackung anstehenden Altanlage zur Herstellung von MOX aus Uran und Plutonium befindet.

In den eingereichten Unterlagen zum „Leerfahren“, das heißt zur Beseitigung des strahlenden Materials, hat Siemens bei der Hessischen Atomaufsicht eine Umgangsgenehmigung für „nur“ 2.400 Kilogramm Plutonium und für insgesamt rund 30.000 Kilogramm Uran diverser Anreicherungsgrade beantragt. Nun stellt sich heraus, daß wesentlich mehr Plutonium in der Anlage gelagert ist (siehe Kasten).

Der Antrag auf das „Leerfahren“ der stillgelegten MOX-Altanlage hat jedenfalls die Umweltschützer in Hanau und Umgebung schon einmal „elektrisiert“, wie Elmar Diez, Sprecher der Initiative Umweltschutz Hanau (IUH) erklärte. Zwar seien auch bei der IUH die Sektkorken geflogen, als Siemens endgültig auf die schon 1993 von Joschka Fischer stillgelegte Altanlage verzichtete. Auch die fast fertiggestellte neue Plutonium- und Uranschmiede für MOX-Brennelemente geht nicht in Betrieb. Doch vor den Gefahren, die von Abbau und Abtransport der Anlageteile und der Spaltstoffe ausgingen, könne man heute „nicht einfach die Augen verschließen“.

Der nach dem Atomgesetz vorgeschriebene öffentliche Erörterungstermin soll nach den Vorstellungen der hessischen Umweltministerin Margarethe Nimsch (Bündnisgrüne) am 1. und 2. Oktober im Bürgerhaus von Hanau- Steinheim stattfinden. Dabei geht es nur um die Genehmigung der ersten Phase, Beseitigung strahlenden Materials in Rohren, Tanks und Lagern. Später folgen noch die Dekontamination der Anlagen, ihre Verschrottung und schließlich der Abriß der Gebäude.

Umweltschützer monieren insbesondere, daß die von Siemens im Antrag angegebenen Plutonium- und Uranmengen „nur Pauschalmengen“ seien. Noch dazu fehle eine exakt aufgelistete Mengenbilanz der einzelnen Nuklide in ihrer festen, flüssigen oder gasförmigen Substanz. „Schlamperei“ nannte das etwa Eduard Bernhard vom Vorstand des BBU. Schließlich reiche schon ein Millionstel Gramm inkorporiertes Plutonium aus, um Krebs auszulösen. Bernhard: „Wir sind der Auffassung, daß Siemens unter diesen Umständen von der Atomaufsicht keine Genehmigung zum Leerfahrbetrieb erhalten darf.“ Ohnehin habe Siemens Alternativen zur Abwrackung der Anlage „nicht ausreichend geprüft“.

„Alles mit Beton übergießen und kleine, gegen Flugzeugabstürze gesicherte Bunkerzellen bauen“, sei eine Alternative, sagt Bernhard. Das Zeug also für immer — oder wenigstens für die nächsten 100.000 Jahre — in Hanau belassen? Auch keine ganz angenehme Zukunftsvision. Aber immerhin könnte bei dieser „Lösung“ die von den Umweltschützern befürchtete Gefährdung der Bevölkerung durch den Abtransport der radioaktiven Stoffe und der kontaminierten Anlagenteile, die Siemens noch verkaufen will, ausgeschlossen werden.

Über Endlagerung zu befinden sei nicht Sache von Siemens, sagte Firmensprecher Rainer Jend auf Nachfrage. Das Plutonium und das Uran in der MOX-Altanlage befinde sich nämlich „nur formal“ im Besitz von Siemens und gehöre eigentlich den Energieversorgungsunternehmen (EVU) und Euratom. Siemens selbst verfüge nur über eine Umgangsgenehmigung. Nach seinen Informationen, so Jend weiter, würden die EVU schon mit „ausländischen Abnehmern“ etwa in Frankreich verhandeln. Sollten diese Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden, werde Siemens das „Material“ entsprechend der beantragten „Leerfahrgenehmigung“ verpacken und für den „Transport mit der Bahn“ bereitstellen.

Der belastete Bauschutt könne auf dem Gelände in Hanau zwischengelagert werden — so wie heute schon die zertrümmerten Reste des alten Uranlagers, meint Jend: „Alles rund um die Uhr bewacht und mit einem Zaun drumherum.“