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Länderchefs fürchten soziale Unruhen

■ Politiker aus Ostdeutschland kritisieren geplanten Abbau der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Der grüne Sozialpolitiker Metzger hält weitere Einschnitte bei Sozialleistungen für unumgänglich

Berlin (taz/dpa/AFP) – Bleibt die Regierung bei ihrem Sparkurs, drohen soziale Unruhen in Ostdeutschland. Dies prognostizierten am Wochenende diverse ostdeutsche Politiker. So erklärte Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD): „Wenn im Osten 150.000 Menschen arbeitslos würden, ist der soziale Frieden in Gefahr.“ Stolpe bekräftigte damit seine Kritik an der geplanten Reform des Arbeitsförderungsgesetzes. Danach sollen die Ausgaben für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) im Osten bis zum Jahr 2000 auf das Westniveau heruntergekürzt werden.

Auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), bezeichnete die ABM- Kürzungspläne als „katastrophal“. In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung sagte er: „Die Gefahr ist gegeben, daß sich Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst auch in sozialen Unruhen niederschlagen.“ Seine größte Angst sei, daß sich über regionale Unruhen hinaus die Annahme in Ostdeutschland breitmachen könnte, der Vereinigungsprozeß sei de facto gescheitert. Höppner verwies dabei auf eine Umfrage, wonach sich schon heute „80 Prozent der Menschen im Osten als Menschen zweiter Klasse fühlen“. Höppner verwies auf eine einheitliche Haltung der fünf Ost-Länder zu diesem Problem und kündigte gemeinsame Beratungen an.

Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, warnte am Wochenende vor einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit durch die geplanten ABM- Kürzungen. Jagoda sagte der Chemnitzer Freien Presse, im Osten gebe es Regionen, Berufe und Personengruppen, „die es sehr schwer haben und auf ABM angewiesen sind“. Besonders betroffen seien Frauen, deren Arbeitslosenquote mit 19,5 Prozent in den neuen Ländern mehr als doppelt so hoch sei wie die ihrer Kolleginnen im Westen. Zugleich verwies er darauf, daß die Zahl der ABM- Beschäftigten seit 1992 von 400.000 auf gegenwärtig 200.000 zurückgeführt worden sei.

Auch der haushaltspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Oswald Metzger, nannte die Kürzungen kontraproduktiv, da sie mehr Arbeitslosigkeit produzierten. Finanziell sei das ganze ein „Nullsummenspiel“, weil die Arbeitslosen auf Arbeitslosengeld, -hilfe und Sozialhilfe verwiesen würden, sagte er der Neuen Osnabrücker Zeitung. Um strukturelle Reformen, die weitere Einschnitte bei den Sozialleistungen erfordern könnten, werde man dennoch nicht herumkommen. Wenn alles beim alten bliebe, brächen die Staatsfinanzen und die Sozialsysteme in den nächsten fünf bis acht Jahren zusammen. Metzger sprach sich daher für weitere Einsparungen bei Pensionen, Renten und beim Kindergeld aus. Die Senkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auf 90 Prozent des vorherigen Arbeitsentgelts halte er ebenfalls für angemessen. Außerdem müßte bei den Beamten gespart werden. rad

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