Gefragt ist nur Traute

■ Der „Hamburger Salon“ in der Privatwohnung von Martin Renkel ist ein Biotop für Kulturerlebnisse der intim-verrückten Art

Im Unterholz des Hamburger Kulturdschungels existiert ein seltsames, halbverborgenes Gewächs. Ein ambitioniertes Pflänzchen, das nur einer kleinen Schar subkulturell Interessierter bekannt ist, jenen, die individuell-privatistische Happenings zu schätzen wissen. Die Rede ist vom Hamburger Salon, einem Veranstaltungsort der etwas anderen Art.

Diese Andersartigkeit zeigt sich schon in der Wahl des Schauplatzes, einem circa 15 Quadratmeter großen-kleinen Zimmer in einer Drei-Zimmer-Wohnung inmitten des Karo-Viertels. Mieter Martin Renkel ist Organisator des Salons, Mitbewohner Jurij (nebenbei Betreiber der Egalbar) stellt sein Zimmer den jeweils auftretenden Künstlern als Backstage-Raum zur Verfügung und Martins Hund „Schwedenkoffer“ verstärkt noch die heimelige Salon-Atmosphäre.

Im Oktober 1994 erblickte der Hamburger Salon unter dem konzeptträchtigen Motto „My Livingroom Is A Saloon“ das Licht der subkulturellen Welt, und seit nunmehr einem Jahr betreibt der 27jährige Krankenpfleger und latente Student Martin Renkel das Familienprojekt (er übernahm den Salon von seinem Bruder Michael) im Alleingang. Das erfordert eine nicht geringe Portion Idealismus: „Meistens zahl ich drauf; wenn's gut läuft, komm ich auf Null raus“, bilanziert der Salonlöwe aus Passion. Diese gründet auf der Affinität zu einer performancelastigen, spontanen Form von Kunst, die im Hamburger Salon meist musikalisch zutage tritt.

Musik? „Private Hauskonzerte, Kammermusik“, quält Renkel sich zu einer Kategorisierung. Sympathischer ist ihm jedoch die Bezeichnung „Improvisierte Musik“, und die trifft wohl auch eher den betont unkonventionell und ungeplant erscheinen wollenden Spontaneitäts-charakter der im Salon produzierten Klang- und Geräuschfolgen.

Neben „herkömmlichen“ Instrumenten gelangt dabei auch Exotisches auf die kulturelle Speisekarte. Unter phantasiefreundlichen Mottos wie „Mittelechoverlagerung bei raumzehrendem Prozeß“, „Der Protostern verdichtet sich“ oder „Sensible Gesichtsversorgung“ dürfen sich Sousaphonisten und Voodoo-Tänzerinnen ebenso selbstverwirklichen wie Hobby-Literaten und sich genialistisch gebende Geräusch-Erzeuger.

Jedenfalls geht es um „Hören und Reagieren“, um die paradoxe Einheit der (aufgelösten) Differenz: Agieren unter Einbezug auch der normalerweise durch klare Rahmungen ausgeschlossenen „Außenwelt“. Die Spannung, die etwa entsteht, wenn die Künstler von der Straße kommende Geräusche in ihre Performance miteinbeziehen oder das Publikum plötzlich dazu auffordern, selbst mitzumachen, liefert dem enthusiastischen Inspirationskunstverehrer Martin Renkel die Motivation, den Salon trotz aller Widrigkeiten der Planung und Ausführung weiterzuführen: „Wenn's knistert, das find ich genial.“ Weniger genial fanden das real existierende Knistern zuweilen die Nachbarn, deren Proteste im vergangenen November dazu führten, das Stattfinden des Salons von zweimal auf einmal monatlich zu reduzieren.

Vielleicht sind es aber gerade derartige Unberechenbarkeiten, die Renkel reizen, sich für den Erhalt seines Haus-Salons aufzuopfern. Denn schließlich wird er so selbst zum Improvisations-Künstler, zum Kulturmanagement-Artisten, dem der Drahtseilakt gelingt, künstlerische Andersartigkeit in einem semioffiziellen Rahmen, fern von Kommerz und Massenkonsum, erfahrbar zu machen.

Da erhalten dann gerade Anekdoten von eigentlichen Mißgeschicken und potentiellen Flops eine besondere Bedeutung. Der Reiz, das vorhersehbar unvorhersehbare Chaos sich letztlich in ebensolcher Weise ordnen zu sehen – am Ende wird alles gut.

Weniger gut steht es zuweilen mit dem Zuschauerzulauf. Während Renkel über einen Mangel an Künstlerinteresse nicht klagen kann – Musiker aus dem In- und Ausland geben sich die Klinke und es werden mehr Demos zugesandt als Künstler auserwählt werden können –, läßt das Publikumsinteresse doch noch zu wünschen übrig. Womit sich der Problemkreis an seinem finanziellen Anfangspunkt schließt – schließlich gehen schon die eher spärlichen Einnahmen aus dem freiwilligen Gäste-Beitrag zu etwa 70 Prozent an die jeweiligen Improvisierenden. Brotlose Kunst.

Was dem Betreiber dann bleibt, ist vor allem das „gute Feeling“, das Ideal des „Aktivbleibens“ schon in jungen Jahren. Und so gilt das, was Renkel den musikalischen Darbietungen im Salon zuspricht, auch für sein organisatorisches Engagement, nämlich daß es „viel mit Persönlichkeit und Mut zu tun“ hat: „Ich finde, jeder kann was machen, man muß sich nur trauen.“

Unter dieser Maxime hat er sich auch schon selbst als Salon-Akteur hervorgetan und eine Lesung eigener Texte zum besten gegeben. Dieser literarischen Ader entspringt auch seine Hoffnung, die Kunstform Literatur allgemein stärker in das Konzept des Hamburger Salons zu integrieren. Dafür müßte sich jedoch noch ein kongenialer Co-Organisator finden, der einen solchen Teil des Programms separat betreuen würde, und Idealisten sind heutzutage rar gesät. Verlaß bleibt da zumindest auf die Salonlöwen Renkel: Ab September wird Martins ausgewanderter Bruder Michael den Berliner Salon ins Leben rufen.

In Hamburg geht es derweil beim 24. Hamburger Salon (6. September, 21 Uhr) weiter mit Gitarren-Schallwellen von Jeffrey Morgan unter einem Motto, welches zwar noch nicht feststeht, aber sicherlich nicht stark von dem eines früheren Salons abweichen wird: „Abweichungen vorbehalten“. Durchdachtes Durcheinander eben.

Christian Schuldt

Kontakt: Hamburger Salon, c/o Martin Renkel, Marktstr. 40, Tel.: 439 07 23