Schwarze Turteltaube

■ Keith Sweat bot im „Pier 2“ schmusigen Mitmach-Soul für Leute über zwanzig – und alle kamen

Lange Zeit sah es so aus, als könne man schwarze Musik am besten verkaufen, wenn sie in möglichst rüdem Vokabular von kriminellen Abenteuern harter Kerle in verwegenen Stadtvierteln handelte. Seit kurzer Zeit allerdings sind wieder schmusigere Töne gefragt, wie die jüngsten Chart-Erfolge von Soul-Sängern wie R. Kelly oder Mark Morrisson belegen. Allesamt Herren, für die die zu umwerbende Damenwelt nicht aus „bitches“, sondern aus „ladies“ besteht.

Zum Schlag dieser Charmeure gehört auch Sänger und Erfolgsproduzent Keith Sweat, der am Sonntag trotz sommerlicher Temperaturen eine stattliche Anzahl Fans ins „Pier 2“ locken konnte. Mit seiner ruhigen Musik sprach er wenig Jungvolk an, dafür umso mehr Twens und ältere. Eine Gruppe, in der erfrischend viele wußten, wie man eine Baseballmütze richtig herum trägt, wenn überhaupt. Vom bärtigen Lehrer-Typ im gestreiften Freizeithemd bis zur aufgedonnerten Tanzmaus mit Plateau-Sohlen, Mini-Röckchen und Nabel-Piercing war ein breites Spektrum an Musikbegeisterten auszumachen. Auffallend: Wem die dunkle Hautfarbe nicht in die Wiege gelegt war, der hatte das scheinbar mit Solarium bzw. ausgedehntem Urlaub kaschiert.

Keith Sweat machte von Anfang an klar, daß er nicht der einzige sein wollte, der bei seinem Konzert den Mund aufmacht. Mitmachen war angesagt: „Let me hear everybody say yeah!“ forderte er immer wieder und ließ nicht locker, bevor der Geräuschpegel die Lautstärke erreicht hatte, die ihm genehm war. Am schönsten spielte dabei der weibliche Teil des Publikums mit, weshalb bei Kommandos wie „All the ladies scream!“ weitaus ohrenbetäubenderes Geschrei zu hören war, als es der Fall war, wenn der gesamte Saal angesprochen wurde. Sweats eigenes sanft nasales und doch gewaltiges Organ überforderte mitunter die Sound-Anlage und geriet in besonders leidenschaftlich-lauten Passagen zum unverdient unschönen Krächzen, das einige Fans erschreckt von den Stühlen fegte, auf die sie sich in den hinteren Reihen gestellt hatten, um besser sehen zu können.

Zu sehen gab es gepflegtes Understatement. Die vielköpfige Band kam ganz in Weiß daher, der Frontmann hob sich davon ganz in glitzerndem Schwarz ab. Nur bei wenigen Songs wurde dieses Bild durch ein paar knapp beschürzte Tänzerinnen ergänzt oder durch eine Gast-Sängerin. Die turtelnden Duette mit dieser waren die musikalischen Höhepunkte des routinierten Auftritts. Die Arrangements der Band wurden dominiert vom baßlastigen Schlagzeug und einer ganzen Batterie funkiger Keyboards und waren auf Funktionalität ausgerichtet. Sie unterstützten bravourös die Songs des Meisters, entwickelten aber niemals Eigendynamik. Selbst beim pompösen Abschluß des Haupt-Sets und der äußerst knappen Zugabe gab es keinen Anflug von Improvisation.

Dem Publikum gefiel es trotzdem. Wer zum Jubeln zu erschöpft war, hing still und glücklich in den Armen liebender Menschen. Sweat bot dafür einfache, aber sichere Rezepte: „Manchmal sind wir so macho, daß wir nicht wissen, was wir den Ladies sagen sollen. Dann legt doch einfach eine Keith Sweat-Platte auf.“

Andreas Neuenkirchen