„Liga“ will nicht stempeln gehen

Die Wohlfahrtsverbände sind mit dem „Liga-Vertrag“ unfreiwillig unter das Zuwendungsrecht gekommen: Sie bewilligen Projekte selbst, müssen aber wie Behörden arbeiten  ■ Von Christian Füller

Noch arbeiten sie unbürokratisch. Die Liga der Wohlfahrtsverbände hat am 1. Juli offiziell die Bewirtschaftung des staatlichen 40-Millionen-Mark-Topfs für Behinderten-, Treber- und Pflege- Projekte übernommen. Zwei Wochen später wies die Liga über 300 Sozialprojekten die ersten Mittel zu. Es sei „legendär“, meint Reinald Purmann vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, wie unkompliziert das Geld bei den freien Trägern angekommen sei. Doch die Liga selbst nimmt die Vorschußlorbeeren für das bundesweit einmalige Vorgehen nur zögerlich an. Die Abmachung mit der Senatsverwaltung für Soziales sei „das kleinere Übel“, so Drogenbeauftragter Purmann. Die freien Wohlfahrtsverbände wollen weg vom Zuwendungsrecht.

Berlin ist drauf und dran, sein sozialstaatliches Engagement auf neue Füße zu stellen. Um die Projekte der freien Wohlfahrtspflege vor dem Haushaltsroulette der kommenden Jahre zu schützen, hat sich das Land vertraglich gebunden: Bis 1999 fießen der Liga, einem Zusammenschluß der Wohlfahrtsverbände, jährlich 41 Millionen Mark zu, das ist die Hälfte des entsprechenden Etats der Sozialverwaltung. Die Liga kann also fortan die Hälfte der Mittel selbst verteilen, mit denen das Land Berlin die fürsorgliche Arbeit von Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie, dem Paritätischen, Rotem Kreuz, der Jüdischen Gemeinde und freier Träger sponsert. Sozialstaatsforscher wie der Hallenser Thomas Olk stufen dies als Modellfall ein: Der Staat beschränke sich auf die regulierende Funktion in der Sozialpolitik; organisiert und erbracht werden die sozialen Dienstleistungen hingegen durch Wohlfahrtsverbände – billiger und besser als der Staat.

Die taufrischen Erfahrungen mit dem „Liga-Vertrag“ bestätigen Kritiker und Anhänger des Modellfalls gleichermaßen: Die Liga vermochte es zwar, flugs die ersten Gelder zu überweisen. Am 28. Juni, berichtet Reinald Purmann, habe die Sozialverwaltung die Ordner übergeben; schon zwei Wochen später habe die Liga eine erste Abschlagszahlung an alle Projekte geleistet. Aber nun steht die Liga vor dem Problem, daß sie eine Geschäftsstelle einrichten muß. Und die muß, um dem staatlichen Zuwendungsrecht Genüge zu leisten, demnächst amtliche Bescheide verschicken. Dem Vertrag liegt ein dicker Stapel Papier bei: Musterzuwendungsbescheide, Verwendungsnachweise, Formblätter. „Das Schlimme an dem Zuwendungsrecht ist die zusätzliche Bürokratie“, stöhnt Purmann. Sozialverwaltung und Rechnungshof müßten in die Lage versetzt werden, jeden Beleg überprüfen zu können. Purmann, obgleich selbst Anhänger des Vertragswerks, weiß um dessen Schwäche. Die Quittungsvorzeigerei sei eine rein formale Beaufsichtigung der Projekte, die sich um die Outlaws der Gesellschaft kümmern. „Was die inhaltlich machen, kann ich gar nicht beurteilen“, zuckt der Drogenbeauftragte des „Paritätischen“ mit den Schultern.

Für Michael Rischke vom Diakonischen Werk ist das nur die Bestätigung dafür, „daß der Teufel das Zuwendungsrecht erfunden hat.“ Der Finanzchef der Diakonie hatte den Ligavertrag gegeißelt, weil er die freien Wohlfahrtsverbände zu nachgeordneten Behörden degradiere. Inzwischen hat zwar auch das evangelische Hilfswerk den Vertrag akzeptiert. Aber Rischke und viele andere Aktivisten in den Wohlfahrtsverbänden träumen davon, mit sogenannten Leistungsverträgen die Arbeit der Fürsorge viel besser abwickeln zu können. In solchen Verträgen könnten qualitative Standards der Sozialarbeit festgehalten werden. Eine Idee, die auch Reinald Purmann noch nicht aufgegeben hat. Die „Projektfamilie der sozialen Arbeit“ könnte Qualitätskriterien entwickeln, meint er. „Und dann kann man beurteilen, was ein gutes und was ein schlechtes Projekt ist“. Das dazugehörige Verfahren heißt Evaluation, das heißt eine qualitative Bewertung. Dabei werden nicht Quittungen und Belege gesichtet, sondern die Arbeit der Projekte wird anhand eigener und objektiver Kriterien bewertet: Wie viele Leute wurden betreut? Ist es gelungen, die Schützlinge fortzubilden, zu reintegrieren?

Die Evaluation der reichen Berliner Projektlandschaft ist eines der Lieblingsvorhaben der Sozialpolitiker. Die Wohlfahrtsexperten fordern sie gebetsmühlenartig. In der Projektsszene gilt die „Selbstevaluation“ sogar als Möglichkeit, sich gezielt zu qualifizieren. Und Sozialstaatssekretärin Verena Butalikakis (CDU), die den Ligavertrag aushandelte, mußte sich im Hauptausschuß neugierige Fragen zur qualitativen Bewertung stellen lassen. „Wir benutzen das, um Doppelangebote herauszufischen“, läßt eine Sprecherin aus dem Sack, was die Sozialverwaltung unter Evaluierung versteht.

Für die Liga ist das Zukunftsmusik. Die ersten 4,5 Millionen Mark hat die Arbeiterwohlfahrt als federführender Verband verteilt, „mathematisch gerecht“, wie ein Mitarbeiter betont. Nun muß die Liga schnellstmöglich die künftige Mittelverwendung organisieren. Sie wird eine eigene Arbeitsgruppe bilden oder das Geld durch die Bank für Sozialwirtschaft verwalten lassen. Auf Dauer aber, da läßt Reinald Purmann keinen Zweifel, „müssen wir weg vom Bürokratismus des Zuwendungsrechts“.