Vier Jahre sind kein Katzenschlecken

Die Ware hat 'nen Fleck, die Athletin plagt Zukunftspessimismus: Wie Franziska van Almsick mit Silber über 200 m Freistil lebt – und dem Druck, womöglich weiterkraulen zu müssen  ■ Aus Atlanta Matti Lieske

Vier lange Jahre hatte das Unternehmen Olympia- Gold gedauert. Und nun war es am Ende an gut 14.000 Zuschauern, weichen Knien und 41 Hundertstelsekunden gescheitert. Soviel war Claudia Poll aus Costa Rica im olympischen Finale über 200 m Freistil schneller als Franziska van Almsick. Zum Glück für die Berlinerin waren immerhin die Spesen nicht schlecht für jenes Langzeitprojekt, das in Barcelona mit dem Gewinn der Silbermedaille über ihre Spezialstrecke und dem Aufstieg zum Darling der Nation begonnen hatte. Daß man nicht unbedingt eine Goldmedaille braucht, um Schokolade zu verkaufen, hat die inzwischen 18jährige Schwimmerin hinlänglich bewiesen, aber gehabt hätte sie das gute Stück doch gern.

Nun hat es Claudia Poll, und das mit einer Zeit, die fast eineinhalb Sekunden langsamer war als van Almsicks Weltrekord, den diese vor zwei Jahren bei ihrem WM- Gewinn in Rom aufgestellt hatte. Vor allem mit ihren 1:58,57 Minuten, die immerhin zu Silber vor Teamkollegin Dagmar Hase reichten, war die als Vorlaufschnellste auf Bahn vier gestartete Favoritin äußerst unzufrieden. Andererseits sei die Zeit in Anbetracht der Umstände gar nicht schlecht. Schon auf dem Startblock sei sie „wahnsinnig fertig“ gewesen angesichts der imposanten Zuschauerkulisse, die ihr zujubelte. Umgehend bekam sie besagte weiche Knie. Nach fünfzig Metern lag sie vorn, doch dann zog die neben ihr schwimmende Poll vorbei und hielt den winzigen Vorsprung bis zum Schluß.

Das fehlende Einzel-Gold bleibt damit der kleine Schönheitsfleck auf der von Manager Werner Köster sorgsam gestalteten „Ware Franzi“. Der Fleck kann nun frühestens in vier Jahren beseitigt werden. Ob Franziska van Almsick ihre Karriere aber tatsächlich bis Sydney fortsetzt, ist mehr als fraglich. Eigentlich, so hat sie inzwischen zugegeben, hatte sie nach Atlanta eine längere Pause einlegen und über einen Rücktritt nachdenken wollen. Ihr erster Gedanke am Ende des verlorenen Rennens sei jedoch gewesen, nun erst recht weiterzumachen.

Zuversichtlich sah sie bei diesen Worten nicht aus, und direkt auf dem Fuße folgte die Litanei einer tief unglücklichen Schwimmerin, die mit der ihr zugedachten Rolle und deren Konsequenzen massive Schwierigkeiten hat. Ähnlich wie bei den Basketballteams der USA oder dem asthmatischen US- Schwimmer Tom Dolan zählte bei van Almsick nur die Goldmedaille. Doch anders als Dolan, der die hohen Erwartungen seiner Landsleute am Sonntag über 400 m Lagen erfüllte, verfügt sie nicht über die nötige Kaltblütigkeit, Unbekümmertheit und Souveränität, um den Druck abzuschütteln.

Positives Denken ist ihr fremd geworden, sie zieht sich in Resignation und Frustration zurück:

„Ich war der Rolle nicht gewachsen. Ich weiß nicht, ob ich ihr je gewachsen sein werde.“

– „Der Druck war riesengroß.“

– „Ich gucke kein Fernsehen mehr, lese keine Zeitung mehr.“

– „Der größte Druck war der, den ich mir selbst auferlegt habe.“

– „Angreifen ist einfach, das war es für mich in Barcelona auch. Verteidigen ist schwer.“

– „Von den Nerven her war es das schwerste Rennen meiner Karriere.“

– „Der Tag war schrecklich, grausig.“

Daß so eine Sportlerin redet, die sich auf die Olympischen Spiele in vier Jahren freut, ist kaum vorstellbar. Andererseits spürt sie ein quälendes Vakuum, wo eigentlich nun die Goldmedaille vollen Seelenfrieden spenden sollte. „Na gut, bei Olympia in Sydney bin ich 22“, sagt sie, „noch nicht zu alt.“ Doch in Barcelona fehlte ihr nur ein Zehntel zu Gold, und damals schwamm sie schneller als heute. Wie sagte Franziska van Almsick wunderbar: „Vier Jahre in der Weltspitze sind kein Katzenschlecken.“ Wenn sie schon kein Gold gewonnen hat, den Ehren-Oscar für innovative Sprache hat sie allemal verdient.