„Ganz Mahlow steht als radikal da“

Im brandenburgischen Mahlow beschweren sich die meisten über den plötzlichen Medienrummel. Jugendliche hatten britische Bauarbeiter angegriffen. Die untätige Polizei soll schuld haben  ■ Aus Mahlow Barbara Bollwahn

Äußerlich glänzt das brandenburgische Dorf Mahlow im Westchic: Supermärkte, Eigentumssiedlungen, chinesische und italienische Restaurants. Ein Dorf, wie man es auch irgendwo im Westen finden könnte. Doch das Innere des Dorfes wird davon nicht berührt. Da schlägt noch immer das alte Ostherz.

Nach dem Motto: „Es nützt doch eh nichts, was zu machen“ reagieren die Mahlower mit gespaltenen Gefühlen auf den Medienrummel, der seit einigen Tagen um ihr Dorf gemacht wird. Nachdem die taz am 17. Juli berichtet hatte, daß Mitte Juni deutsche Jugendliche drei britische Bauarbeiter während eines Überholmanövers mit einem Feldstein angriffen hatten und der Fahrer Noäl Martin seitdem gelähmt im Krankenhaus liegt, interessieren sich alle Medien, von „Spiegel TV“ bis zum britischen Observer, für den Überfall. „Es wird sich auch durch die Medienaufmerksamkeit nichts ändern.“ Der Verkäufer im „Schul- Shop“ am Bahnhofsvorplatz, an dem sich regelmäßig eine dorfbekannte Clique Jugendlicher trifft, die aus ihrem Haß auf Ausländer keinen Hehl macht, ist frustriert. „Das Ordnungsamt arbeitet wegen dem Presserummel auch nicht besser“, sagt er lakonisch. „Die machen um 16 Uhr Feierabend, und die Polizei ist auch nie da“, schimpft er. Ob die Polizei, wenn sie denn käme, etwas ausrichten könnte? „Die Jugendlichen lachen die doch aus“, antwortet der Verkäufer und sortiert seine Schreibmaschinen-Farbbänder weiter. „Wir brauchen ein Angebot für die Jugendlichen“, so seine Forderung. Außerdem könne es nicht sein, daß deren regelmäßigen Saufgelage auf dem Bahnhofsvorplatz und das Anpöbeln der Ausländer „immer ohne Folgen bleiben“.

Der 16jährige Schüler Kai hat zwar Angst, daß Mahlow „in Verruf“ geraten könnte. Doch andererseits hofft er auf „positive Folgen“ des schrecklichen Überfalls: „Vielleicht bekommen wir ja dann endlich wieder einen Jugendclub.“ Zwei Jugendclubs und eine Diskothek wurden in den letzten Jahren geschlossen. „Daß das in Gewalt ausartet, hat man doch gesehen“, fügt er hinzu. Doch ob der Bürgermeister das Versprechen, etwas für die Jugendlichen im Ort zu machen, halten wird, da hat er seine Zweifel. „Harte Arbeitsstellen brauchen die, harte Arbeitsstellen“, schimpft die Verkäuferin am Zeitungskiosk neben dem S-Bahnhof. Sie ist wie viele andere im Dorf frustriert über die Tatenlosigkeit der Behörden. Jeder im Dorf kenne die Clique, doch keiner tue was. Voller Scham gesteht sie, daß Mike, der Anführer, zu ihrer Verwandtschaft gehört. Ratlos schüttelt sie den Kopf. „Wenn die Polizei schon Angst hat“, spricht sie wie zu sich selbst und nicht zu Ende. „Das ist eine ganz verfahrene Karre“, redet sich die weißhaarige Frau kurz in Rage. „Früher haben wir Arbeiter aus dem Ausland geholt, weil wir keine hatten, und heute ...“ Abrupt unterbricht sie ihren Gedanken. Sie will nicht in der Zeitung stehen, sagt sie. Sie stützt die Ellenbogen auf einem Packen Zeitungen und blickt auf einen imaginären Punkt in der Ferne. Nur beim Stichwort Ordnungsamt wird sie wieder gesprächig. Ob die Medienaufmerksamkeit was ändert? „Hoffnung?“ fragt sie halb belustigt, halb wütend. „Pah!“ stößt sie hervor. „Früher konnte man mit den Weibern im Büro reden“, erinnert sie sich. „Die heute auf der Gemeinde sind doch alles ehemalige Armeeleute!“ schimpft sie.

„Langsam lachhaft“ findet ein Kellner im Restaurant „Lindengarten“ am Bahnhof die Medienaufmerksamkeit. „Ganz Mahlow steht jetzt rechtsradikal da“, schimpft er. Die Medien würden nur sich selber schaden, so seine Überzeugung. „Es ist doch nichts passiert“, sagt er und tippt Bestellungen ein. Es gehe vielmehr darum, „der Jugend einen Sinn zu geben“. Doch das sei ein „gesamtdeutsches Problem“. Wenn das nicht gelöst werde, werde sich auch in Mahlow nichts ändern.

Eine taz-Leserin aus Offenburg hat gestern einhundert Mark für Noäl Martin gespendet. Weitere Spenden auf das Konto der taz bei der Berliner Volksbank. Kto: 26 00 58 17, BLZ: 100 900 00.