Die Gewaltbereitschaft der ostdeutschen Jugend ist groß: "Ist doch normal, wenn man sich prügelt", meint etwa ein 19jähriger aus dem Dorf Kamern in Sachsen-Anhalt. Am Wochenende wurden dort auf einem Campingplatz drei Berliner Hooligans von

Die Gewaltbereitschaft der ostdeutschen Jugend ist groß: „Ist doch normal, wenn man sich prügelt“, meint etwa ein 19jähriger aus dem Dorf Kamern in Sachsen-Anhalt. Am Wochenende wurden dort auf einem Campingplatz drei Berliner Hooligans von Stendaler Linken krankenhausreif geprügelt.

Wer viel säuft, schlägt gerne zu

Das Opfer ist nicht zu übersehen. Im braun-blau gestreiften Bademantel mit weißer Mullbinde um den Kopf sitzt René E. (18 J.), vor der Krankenhausglotze. In der Klinik von Havelberg kuriert er eine Platzwunde aus. Sein Freund Normen G. (20 J.), der neben ihm sitzt, hat Arme und Kopf voller Schorf und blauer Flecken. Zeichen eines Saufgelages.

Für die beiden Hooligans aus Berlin ging vorgestern ein Zelturlaub zu Ende: Lagerfeuer am Rand des Kamernscher Sees, gehißte Deutschlandflagge, ganz groß, und daneben die Reichskriegsfahne, klein. Bier und Schnaps sind in diesen Tagen reichlich geflossen. Es war eine gelungene Urlaubswoche unter Freunden, 120 Kilometer nordwestlich von Berlin.

Reine Idylle hätte es sein können, wären da nicht die Linken, „die Zecken“, vom gegenüberliegenden Ufer des Sees gewesen. Die aus Stendal. Kurz vor zehn Samstag nacht kamen sie zu den Hooligans herüber, standen am Lagerfeuer rum, so daß die Berliner nicht anders konnten als ihnen ein Bier anzubieten. Freundschaftlich, um Ärger zu vermeiden, betonte René. Denn den hatten die Hooligans schon gerochen. Der lauschige Abend endete schnell. Zuviel Bier schütteten die Stendaler in sich hinein, zu rasch gab ein Wort das andere. Als die Stendaler endlich begriffen, daß sie sich besser wieder auf „ihre“ Seite des See verdrücken sollten, passierte es. Einer von ihnen riß im Vorbeigehen die Reichskriegsflagge runter. „Klar haben wir uns uffgeregt“, sagt Normen, „aber geprügelt haben wir nicht. Wir sind ganz ruhig geblieben.“ Die Stendaler sollen beim Abschied gedroht haben, sie würden wiederkommen. Und zwar mit 100 Mann.

Normen und seine zwölf Hooliganfreunde riefen die Polizei. Das war kurz nach 22 Uhr. Zwei Polizeiwagen kamen prompt aus dem 15 Kilometer entfernten Havelberg. Schauten sich um, sahen eine ruhige Lage und fuhren weg.

Gut vier Stunden später forderte die Provokation mit der Reichskriegsflagge eine Attacke. Zwischen 15 und 20 Mann aus der Stendaler Szene stürmten auf den Zeltplatz. Droschen mit Eisenstäben und Baseballschlägern auf die Hooligans ein. Ein paar Minuten dauerte der Überfall, dann zogen sich die Angreifer zurück. Drei Verletzte blieben blutüberströmt am Lagerfeuer zurück, René mit einer schweren Prellung, Normen mit einer leichten Gehirnerschütterung. Fünf Zelte wurden aufgeschlitzt und zwei Autos zerdeppert. Normen und René versichern, sich nicht gewehrt zu haben. „Unsere Schreckschußpistolen und andere Sachen hatten wir vorher extra ins Auto getragen“, beteuert Normen. An Schüsse will er sich nicht erinnern, Dorbewohner erzählen sich aber, Schüsse seien gefallen. Nur die, die darüber reden, haben sie selbst nicht gehört.

Warum auch? „Es geht mich nichts an, wenn Idioten sich prügeln“, sagt Peter Schulz, der zwar nicht so heißt, aber gerne so genannt werden will. Er ist 19, im gleichen Alter wie René und die anderen. Peter hat sein Lebensmotto auf den Tank seiner giftgrünen MZ geklebt: „Höher, schneller, mach weiter“. Egal wie. „Ist doch normal, wenn man sich prügelt. Gehört doch dazu.“ Peter sagt, in diesem Landstrich hier würden die jungen Männer sich schon prügeln, wenn einer die Freundin des anderen zu lange anguckt. „Wer viel säuft, der schlägt auch gerne zu.“ So ist das und so soll es hier in der Gegend schon immer gewesen sein. Mit der Arbeitslosigkeit will er die überbordende Gewalt nicht erklären. „Früher in der DDR haben nur die Brandenburger eins in die Fresse gekriegt, heute ist jeder dran.“ René und seine Freunde kommen aus dem Ostberliner Bezirk Marzahn.

Da nützen keine Krisensitzungen des Innenministers und auch kein Ruf nach mehr Polizei. Mit der politischen Geschäftigkeit sollen die Gemüter der Urlauber beruhigt werden, die es an die Badeseen und auf die Campingplätze treibt. Das weiß auch der amtierende Revierleiter Jochen Lübeck in Havelberg. Nach dem aufsehenerregenden Überfall auf den Campingplatz am Plauer See in Mecklenburg-Vorpommern erhielt seine Dienststelle die Losung, öfter mal auf den Campingplätzen zu patrouillieren. Fünfmal kreuzt ein Polizeiauto seither täglich auf den drei Campingplätzen der Umgebung auf. Ihre letzte Runde am Samstag drehten die Beamten gegen zwei Uhr auf dem Platz in Kamern. Kurz vor dem Überfall. „Sie können Campingplätze mit polizeilichen Mitteln nicht sicherer machen.“ Wie es zu dem Überfall kommen konnte? Lübeck schüttelt den Kopf: „Ich kann's nicht erklären, keiner weiß es.“ Gestern hat der Beamte den Fall an die nächsthöhere Dienststelle abgeben müssen. Er ist froh. „Da brauch' ich jetzt nichts mehr zu sagen.“ Auch René und Normen wollen ihre Ruhe haben. Erschreckt hat sie die Attacke nicht, auch nicht die Eisenstangen. „Das ist halt so, damit mußt du rechnen, wenn du auf einem Campingplatz Urlaub machst.“ Auch wenn die Naht am Kopf noch schmerzt und die Gehirnerschütterung noch nicht vorüber ist, die beiden nehmens cool. Schlägereien seien wie Gewitter. Sie brechen heftig aus und ziehen schnell vorbei. Annette Rogalla, Havelberg