Türkei läßt Hungerstreikende zu Tode fasten

■ Trotz des ersten Toten lehnt Regierung Zugeständnisse an politische Gefangene ab

Istanbul (taz) – Auch nach nunmehr 64 Tagen und dem ersten Toten ging der Hungerstreik politischer Gefangener in der Türkei gestern weiter. Viele liegen bereits im Koma, der Zustand von vier Personen soll sich lebensbedrohlich verschlimmert haben.

Insgesamt befinden sich rund 1.500 Gefangene in etwa 50 verschiedenen Gefängnissen im Hungerstreik, 216 von ihnen im „Todesfasten“. Diese Häftlinge nehmen auch kein gezuckertes Wasser und kein Salz mehr zu sich. Die Zahl der politischen Gefangenen, offiziell als „Terroristen“ tituliert, liegt bei etwa 9.000.

Der türkische Gesundheitsminister Yildirim Aktuna kündigte gestern auf einer Pressekonferenz an, daß Gefangene, die durch den Hungerstreik das Bewußtsein verloren haben, künftig zwangsernährt würden. „Ein offizieller Mord“, titelte die gestrige Ausgabe der linken Tageszeitung Demokrasi nach dem Tod des ersten hungerstreikenden politischen Gefangenen. Der Vater und die Mutter des 25jährigen Aygün Ugur, die zum Gefängnis Ümraniye angereist waren, um ihren Sohn zu besuchen, konnten am Sonntag nur noch dessen Leichnam besichtigen. Aygün Ugur, wegen Mitgliedschaft in einer illegalen linksradikalen Organisation zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, hatte sich vor 43 Tagen dem Hungerstreik angeschlossen.

Trotz des ersten Toten hält Justizminister Sevket Kazan an der harten Gangart gegenüber den Gefangenen fest. Die ministeriellen Verfügungen, die eine Verschlechterung der Haftbedingungen zur Folge hatten, werden nicht zurückgenommen. Eine zentrale Forderung der politischen Gefangenen ist, daß Gerichtsverfahren und Justizvollzug zukünftig in der Nähe des Wohnortes stattfinden sollen.

Zur Zeit ist durchaus üblich, daß Gefangene unter menschenunwürdigen Transportbedingungen über mehrere Kilometer hinweg zu Gerichtsterminen angefahren werden. Prügel der Gendarmerie, die die Gefangenentransporte durchführt, sind gang und gäbe.

Die türkische Polizei löste am Sonntag abend eine Solidaritätsdemonstration vor dem Ümraniye-Sondergefängnis in Istanbul für die Hungerstreikenden gewaltsam auf. 250 Menschen wurden verhaftet. Nach Polizeiangaben seien aus der Menge Steine auf Polizisten geworfen worden. Ömer Erzeren