Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 9

Der Herbert versuchte ein Lachen. Der Poller und der Glatter grimassierten zurück. Jetzt wollten sie endlich mit ihrem Freund, dem Herbert, dem Feind, spielen, die Zeit totschlagen, sozusagen. Und Glatter und Poller wurden zu kleinen Monstren, die die Grenze zwischen Spiel und Wirklichkeit nicht mehr zu ziehen vermochten. Sie tauchten in Kindheit. Vollkommen unschuldig. Einen für die Mutti! Der Mund von Herbert schluckte eine Schuhspitze von Poller. Einen für den Vati! teufelte Glatter und trat Herbert drei Rippen ein. Und einen noch für das liebe Schwesterlein! Ein Tritt matschte in den Genitalien von Herbert. Er kann nicht mehr, der Herbert! Er kann nicht mehr. Einen noch für die Tante, der muß noch sein! Glatter im Glück. Mit Poller. Auch im Glück. Am Ende brannte sich eine glühende Zigarre in das Gesicht von Herbert. Und das Unvorstellbare nahm seinen Lauf. Der kurze Widerstand von Herbert brach kläglich zusammen. Sein Magen kotzte sich aus. Sein Mund spuckte mit Blut nur so um sich. Und dann machte sich etwas in Herbert ans Sterben. Etwas unterbrach die Blutzufuhr. Etwas löschte das Licht in Herberts Augen. Etwas leitete den Konkurs von Herberts Leben ein. Seine Augen blendeten Poller und Glatter aus. Er wurde Regie, Film und Kamera. Mit Bildern aus Rußland. Und ein bißchen Frankreich. Auch Herbert hatte den Krieg verloren, und am liebsten hatte er immer den Harzer Käse mit den Würmern gegessen, wenn dieser oben auf dem Küchenschrank im Milchladen Oma Wölkens in Bramfeld die ersten Schritte seines Lebens wagte, und dann war noch der Mathematiklehrer gewesen, der Klein-Erna fragte, was eine Mutti machen muß, um ihre neun Äpfel unter ihren sechs Kindern aufzuteilen. Appelmus! görte Klein-Erna dem Lehrer zu. Herbert lachte noch ein letztes Mal. Und alles wurde tot. Reisende soll und darf man nicht aufhalten! floskelte Poller, als Herberts Seele auf und davon himmelte. Warum sind wir nicht wie alle vernünftigen Männer vor unseren Frauen gestorben? Glatter wußte keine Antwort. Poller zitterte los. Glatter krückte nach. Herbert blieb liegen.

Mein Freund ist Ausländer

Wie kann man einen Frosch mit Sicherheit um sein Augenlicht bringen und warum der Tod immer aus der rechten politischen Ecke kommen muß

Ein Mensch weniger! sagte Schmock. Eine Wohnung mehr! politisierte Veddel. Eine Wohnung in St. Georg? hoffte Schmock. In St. Georg wohnen! träumte Veddel. Komm, versuchen wir das Teil zu schießen! Schmock und Veddel zogen aus dem Hinterhof in die weite Welt hinaus. Um den toten Herbert: das allgemeine Meuten. Über ihm: die allgemeine Medizin. Und für ihn: das allgemeine Mittagsmagazin. Wer war und was war schuld an dem Tod von Herbert Schmackes? fragte ein Reporter den Arzt. Er ist an entsetzlichen Verletzungen gestorben, offenbar zugefügt durch kleine faschistische Kinder, vorurteilte der Arzt die Situation. Sind Sie nicht ein wenig zu schnell mit ihrem Urteil? fragte ein Bulle. Nein! Sehen Sie sich doch nur diese Rippenprellungen an. Sie sind die typischen Folgen der Jugendarbeitslosigkeit! stellte der Arzt seine Diagnose. Auch die Brandwunden und die Quetschungen sprechen für sich. Brandwunden sind die Symbole für die Perspektiven in der Zukunft, die nicht mehr existiert. Und die Quetschungen prägten ein oder zwei Springerstiefel! Es handelt sich um eindeutige Tritte gegen die verfehlte Politik und die fehlenden Politiker! Und warum töteten sie einen Rentner? Es trifft immer die Schwachen! Und das lesen Sie alles in den Wunden, staunte der Bulle. Ja! Alle Wunden haben eine Geschichte, ich möchte sogar behaupten eine eigene Sprache, die wir nicht nur physiologisch, sondern auch psychologisch zu verstehen haben! stolzte der Arzt.

(Fortsetzung folgt)

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