Hamstern für den Ernstfall

Auch wenn die Russen wahrscheinlich nicht mehr kommen: Berlins Notversorgung ist gesichert, Getreide und selbst Lebensmittelkarten liegen bereit  ■ Von Kathi Seefeld

War der Weltraumschrott, fraglos chinesischer Herkunft, der unlängst ein Dach der Wasserwerke durchschlug und sich hernach als Teil einer Schredderanlage herausstelle, der Anlaß? Oder vielmehr jene im Sommer oft zitierte Leere das auslösende Moment?

„Welche Krisenfälle in Berlin im einzelnen eintreten könnten, darüber möchte ich nicht spekulieren“, meinte Wirtschaftsstaatssekretär Dieter Ernst gestern, als er zu „Behala“ in den Westhafen lud, um über die Notversorgung der Stadt im Ernstfall zu plaudern und einen Blick auf die dort eingelagerten Vorräte, etwa 11.200 Tonnen Roggen derzeit, zu werfen.

Sie anzulegen ist Berlin jedoch, wie andere deutsche Ballungszentren auch, von Bundes wegen verpflichtet. Bereits im August 1990 hatte Bonn, so Ernst, „als Konsequenz der Ereignisse von Tschernobyl“ ein „Ernährungsvorsorgegesetz“ beschlossen und damit eine rechtliche Grundlage geschaffen, die bei Versorgungsnotständen selbst die Marktmechanismen auszuhebeln in der Lage ist.

Bevorratet werden neben Getreide auch Fleisch, Kartoffeln und andere Produkte. Und: Selbst die Lebensmittelkarten, die eine gerechte Verteilung der Reserven garantieren sollen, liegen bereits (streng vertraulich, um Fälschungen zu vermeiden) für alle BerlinerInnen bereit, ohne einen Unterschied zwischen VegetarierInnen und fleischverzehrenden BürgerInnen zu machen. 12.000 Beschäftigte in den Bezirksämtern hätten mit der Verteilung der Lebensmittelkarten zu tun, im Fall der Fälle, erzählt der Notversorgungsexperte der Senatsverwaltung, Hans-Jürgen Gaudeck.

Die BerlinerInnen seien im übrigen auch privat ein bevorratungsfreudiges Volk, schätzt Dieter Ernst. „Etwa die Hälfte der von uns auf der ,Grünen Woche‘ Befragten hat Vorräte für etwa 14 Tage im Hause.“ Einschließlich dreier Kästen Wasser, die ein Muß jeder Vorratshaltung seien. „Die Lagerwirtschaft zu Zeiten der Mauer hat die BürgerInnen sensibilisiert“, mutmaßt Gert Rose, Behala-Vorstandsmitglied.

Nach der Blockade des Westteils der Stadt, mit der in Zeiten des Kalten Krieges die Alliierten zur Aufgabe Berlins gezwungen werden sollten, sorgte man vor. Seit 1952 lagerten an 176 Orten im Westteil der Stadt Lebensmittel, Klopapier und selbst Bremsbeläge für die U-Bahn im Wert von schätzungsweise zwei Milliarden Mark. Darunter waren auch Dinge, die zuvor eigens in der DDR erworben und nach der Wende zu großen Teilen an die Sowjetunion verschenkt wurden.

Die DDR selbst hatte, vor allem im Sinne der Zivilverteidigung, so die Behala-Lagerexperten, an sieben Standorten Vorräte gelagert, „unter hervorragenden Bedingungen übrigens und ausgestattet mit zweigleisigen Bahnanschlüssen“. Oranienburg gehörte dazu, auch Kyritz, das heute einen Teil der Berliner Hafervorräte in der Nähe einer Getreidemühle beherbergt.

Bislang, so Hans-Jürgen Gaudeck, habe man auf die stillen Reserven noch nie zurückgreifen müssen. Im Gegensatz zur DDR. Da ging man im Februar 1990, als der vom Runden Tisch geforderte Abbau der Lebensmittelsubventionen veröffentlicht wurde, ans Eingemachte, um die Versorgungslage der Bevölkerung angesichts massiver Hamsterkäufe sicherzustellen.