: Das hysterische Genre
Busendiskurs und Bauchbilder: Annette Brauerhochs Buch über die Mutter im Kino ■ Von Dorothee Wenner
Lange Jahre hat die feministische Filmtheorie die Mutter im Kino ausgeblendet, jetzt hat Annette Brauerhoch, Mitherausgeberin der Zeitschrift Frauen und Film, ihr ein ganzes Buch gewidmet: „Die gute und die böse Mutter – Kino zwischen Melodrama und Horror“. Darin geht es um drei mütterliche Erscheinungsformen im Lichtspielhaus, um die Mutter als Kinobesucherin, die Mutter auf der Leinwand und das Kino als Mutter.
Brauerhoch beginnt mit dem beliebten Topos vom dunklen Saal als Mutterbauch. Aus diversen Filmtheorien, literarischen Erinnerungen an Kinoerlebnisse und ein bißchen Freud/Lacan entwickelt die Autorin eine Theorie der „Sinnlichkeit des Sehens“, die den Genuß frühkindlicher Kommunikation des Säuglings mit „Mama“ wiederbelebt. Es ist ein Sichwiedergewinnen, das über Identität hinausweist und zurückreicht an die Anfänge des Blickes, als das Gesehene noch keiner Symbolisierung unterzogen wurde und nicht nur dieser diente – ebensowenig, wie dies das Kino tut.
Dabei entdeckt Brauerhoch im Kino auch eine „Technik der Bemutterung“. Die Leinwand wird zu einer Art Brustprothese: Ähnlich wie das Baby den Busen der Mutter als Teil seiner Person imaginiert, eignet sich der Zuschauer lustvoll die fremden Filmbilder an. Auf diese Weise tut sich insbesondere für die Frauen unter den Kinobesuchern ein theoretisches Schlupfloch auf: Bislang sah man sich, zumindest als Forschungsobjekt der Filmwissenschaft, gefangen im männlichen Kamerablick.
Der zweite Teil des Buches liefert die Praxis zur Theorie des sinnlichen Sehens, die bislang von der Wissenschaft ähnlich schnöde behandelt worden sei wie die Kinomutter von Regisseuren, Kameramännern und Drehbuchautoren entsexualisiert wurde. Dies trifft insbesondere auf die vielen passiven Mutterfiguren des Melodramas zu. Brauerhoch beschreibt das Genre als „hysterisch“.
Analog zu der Verschiebung hysterischer Symptome in körperliche Ausdrucksformen wird die Sexualität von melodramatischen Filmmüttern durch die ästhetische Form sublimiert: schmachtende Blicke und Opulenz im Dekor. Brauerhoch betont die Bedeutung des Schweigens im Melodrama, das wie ein Kommentar zur „Krise der Sprache“ mit den Mitteln des Films den (verdrängten) Gefühlen Ausdruck verleiht. Mit Barbara Stanwyck als „Stella Dallas“ (USA1937) wird eine Mutterfigur analysiert, die gegen ihre Entsexualisierung aufbegehrt, sich aber dann doch für ihre Tochter und deren Eheglück „opfert“.
Dabei entdeckt Brauerhoch im finalen Blick der Stanwyck eine interessante Mehrdeutigkeit: „Ihr Lächeln kann man als Zeichen dafür lesen, daß ein freiwillig aus Mutterliebe erbrachtes Opfer glückhafte Belohnung bringt, andererseits gibt das geheimnisvolle Senken der Lider, das den eigenen Blick dem Machtblick der Kamera entzieht, (...) Rätsel auf, verunsichert die „eindeutige Bedeutung“. (...) Könnte die sogenannte „Opferung“ der Tochter auch eine Befreiung von ihr darstellen, mit der Stella ein „neues“ Leben beginnt?“
Wenn die vermeintlich guten Filmmütter im klassischen Melodram nur sehr vornehme Formen benutzen konnten, ihre dunklen und kinderfeindlichen Seiten zu zeigen, so läßt der Horror-, Splatter- und SF-Film den offenkundig bösen Müttern jeden Spielraum, ihre Gemeinheiten zu offenbaren – vor allem in der Gestalt als Killermutter oder Monster. Die Horrorfiguren aus Schleim, dunklen Vaginen, Blut und glipschigen Eiern verweisen auf ein gesteigertes Interesse am weiblichen Körper und auf die tief sitzende Angst vor seinen unheimlichen Kräften. Brauerhoch erklärt die Faszination, die die wabernde Weiblichkeit des Horrorfilms auszulösen vermag, als eine schaurig-schöne Auseinandersetzung mit der Urangst vor der archaischen Mutter: „Sie droht das zu verschlingen, auszulöschen, was sie einst ausgestoßen, ins Leben gesetzt hat.“ Auch in diesen Kapiteln stellt die Autorin einige kluge Verbindungslinien zur Welt außerhalb des Kinos her. Am Beispiel von „Aliens“ zeigt sie etwa, wie zeitgleich zur In-vitro-Fertilisation „gute“ Mutterschaft im Film plötzlich von der weiblichen Biologie losgekoppelt zum reinen „Schauspiel“ werden kann.
Annette Brauerhoch ist es gelungen, den heiklen Ritt durch den schwierigen Parcours ihres Themas ohne jede Peinlichkeit zu absolvieren, und das ist für sich eine prima Leistung. Doch leider merkt man ihrem Unideutsch mit sperrig- verschachtelten Sätzen und der Tendenz, sich nach allen Seiten mit Zitaten abzusichern, die Anstrengung des Unternehmens an. Etwas mehr von der „Sinnlichkeit“, um die sich alles dreht, hätte dem Buch gutgetan.
Annette Brauerhoch: „Die gute und die böse Mutter. Kino zwischen Melodrama und Horror“. Marburg/Schüren 1996. 207 Seiten mit Abbildungen, 36 DM
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