Mit der Krupp-Lok in die Zukunft

Im ostafrikanischen Eritrea wird die alte Eisenbahn aus der italienischen Kolonialzeit wieder aufgebaut – in mühevoller Handarbeit, mit den originalen Wagen, Schienen und sogar Mechanikern  ■ Von Marcella Pannaccio

Eigentlich hatte der Herr in der ölverschmierten Arbeitskleidung vor, uns mit aller Vehemenz des Geländes zu verweisen, als wir die zugewachsenen Gleise entlang auf die Wartungshallen des alten Bahnhofs in Eritreas Hauptstadt Asmara zuspazierten. Dann jedoch besann er sich plötzlich eines anderen. Vielleicht aus Stolz darüber, den Neugierigen aus Europa ein Stück eritreischen Wiederaufbaus präsentieren zu können, gewährte er uns Zutritt.

Ein bißchen dauerte es, bis sich die Augen an das Halbdunkel in der Halle gewöhnten. Es herrschte Betriebsamkeit, an sämtlichen Werkbänken wurde geschweißt, gehämmert und geschraubt. Moderne Hilfsmittel, Werkzeug oder Technik suchte man in der Halle vergebens. Über allem lag der Hauch der Vergangenheit und der Optimismus, mit diesen Mitteln der Gegenwart trotzen zu wollen.

Woran hier so emsig gearbeitet wurde, war die eritreische Eisenbahn, die nach jahrzehntelangem Stillstand nun endlich wieder fahren sollte. Links stand ein Schienenwagen, Relikt aus Kolonialzeiten. Der Motor Marke Landrover funktioniere einwandfrei, erklärte uns der Herr, der uns gerade noch hatte fortschicken wollen, und lud uns zum Einsteigen ein. Früher, lernten wir, sei das Gefährt benutzt worden, um eilige Nachrichten und – noch wichtiger – die Gehälter zu überbringen.

Spielzeughaft klein wirkte der Wagen allerdings gegen die Lokomotive, die auf demselben Gleis weiter vorn stand. „Krupp 1957“ verriet das Firmensignet. Auch diese Lok hatten die Mechaniker auf Vordermann gebracht. Gut zwanzig Jahre älter war die sogenannte „Littorina“ auf den Gleisen gegenüber. Die Italiener hatten sie Ende der 30er Jahre mitgebracht, als sie von ihrer Kolonie Eritrea aus gerade Äthiopien erobert hatten und mittels Eisenbahn ein Großreich aufbauen und erschließen wollten. Auffallend alt waren auch viele der Mechaniker. Das liegt daran, daß Eritreas Regierung pensionierte Eisenbahner um Hilfe gebeten hatte: Sie kennen sich aus.

Irgendwo aus den Tiefen seiner Hosentaschen fingerte der Herr einen Vierkantschlüssel und sperrte die Tür auf. Der Fiat-Triebwagen war nobel renoviert. Sämtliche Polster hatte man entfernt und durch Sitzbänke aus Holz ersetzt. Innen und außen prangte der Wagen in einem neuen Anstrich. In silbernen Lettern stand „Fiat“ an Front und Heck. Die „Littorina“ sei einsatzbereit, fuhr der Herr fort, die beiden Dieselmotoren in bestem Zustand. Sie seien je nach Bedarf einzeln oder zusammen nutzbar, so daß man in den Steigungen nicht allzuviel an Tempo verliere. 50 Kilometer in der Stunde brächten beide Motoren zusammen, auf jeden Fall, auch wenn es steil bergauf gehe. Auf den Geraden reiche einer der Motoren, um dieses Tempo zu halten.

Aber wo in aller Welt sollten all diese Wagen wieder fahren? Draußen endeten die Gleise nach ein paar hundert Metern im Grünen.

Eritreas Eisenbahn, ehemals wichtigstes Transportsystem des Landes am Roten Meer, entstand einst unter italienischer Kolonialherrschaft und blieb auch nach der Annexion durch Äthiopien 1950 zunächst leidlich erhalten. In den Kriegsjahren bis 1991 fiel sie allerdings den Zerstörungen des Unabhängigkeitskampfes gegen Äthiopien restlos zum Opfer. Die Kriegsgegner zweckentfremdeten Gleisteile zum Bau von Unterständen entlang der Frontlinien. Auch zum Häuserbau wurden die Schienen gern benutzt. So verwandelte sich die Trasse, die einst die Hafenstadt Massawa mit der etwa 130 Kilometer entfernten Hauptstadt Asmara im Hochland verband und dann weiter über Keren Richtung sudanesische Grenze nach Akordat führte, in einen Sandweg.

Besonders dort, wo die Strecke in zahlreichen Serpentinen endlich in das Hochland mit seinen knapp 2.400 Meter um Asmara herum übergeht, zeugen zahlreiche Brücken und Tunnel von längst vergangenen Zeiten. Eritrea hätte eine intakte Bahnlinie bitter nötig. Schon allein, um den mörderischen Verkehr auf der Verbindungsstraße parallel zur Bahnlinie einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Ebenfalls von den Italienern gebaut und zwischenzeitlich verbreitert, schlängelt sie sich in waghalsigen Kurven durch die Landschaft. Hier muß jeder lang, der von irgendwo herkommt und irgendwo hin will: zu Fuß, mit Ziegenherden, Packeseln, Maultieren oder Kamelen. Dazwischen immer wieder Autos, restlos überfüllte Busse und nicht zuletzt die Lastwagen, die von der Küste das Benzin in die Hauptstadt Asmara bringen.

Seit zwei Jahren ist nun der Wiederaufbau der alten Bahnlinie im Gange. Von Massawa, der Hafenstadt am Roten Meer, bis Asmara soll sie wieder führen. Millionen Dollar teure Angebote zur Hilfe, wie zum Beispiel Italien sie gemacht hatte, schlug Eritrea aus. Statt dessen wurde das Projekt nun für einen Bruchteil der Kosten in eigener eritreischer Regie geführt: Der Besitz von Schienenteilen wurde der Bevölkerung verboten. Jedes Stück mußte abgegeben werden. So kommt es nun, daß entlang der Straße Richtung Massawa immer wieder größere und kleinere Ansammlungen von Schienenteilen zu sehen sind.

In der Wartungshalle im Bahnhof von Asmara verriegelte der nette Eisenbahner die Tür der „Littorina“ wieder und wiederholte noch einmal, daß sie „ready to go“ sei. Wann, wußte er allerdings auch nicht so genau – bald, hoffte er jedoch. Auf den letzten knapp 40 Kilometern vor der Hafenstadt Massawa war nämlich bereits die erste Teilstrecke fertig.

Am 19. Juni abends hat die „Littorina“ erstmals wieder Fahrgäste befördert – im Rahmen der Feierlichkeiten zum Märtyrertag, mit dem Eritrea alljährlich seiner im Unabhängigkeitskampf getöteten Soldaten gedenkt. Inzwischen hat die „Littorina“ ihren regulären Dienst wieder aufgenommen. Fürs erste verbindet sie auf der fertiggestellten Strecke Massawa mit dem 30 Kilometer entfernten Dörfchen Mai Atal – und sie ist billiger als die Busse. Ein weiterer kleiner Schritt im Wiederaufbau.