In Pale ist Karadžić allgegenwärtig

In der „Hauptstadt“ der bosnischen Serben stehen die Bewohner fest zu ihrem „Dr. Karadžić“. Die Funktionäre müssen den Rücktritt ihres Chefs erst verdauen. Gerüchte haben Hochkonjunktur  ■ Aus Pale Erich Rathfelder

Zoran und Dragan arbeiten an der Tankstelle im Zentrum Pales. Fröhlich bieten sie dem Besucher Wein und Himbeeren an. „Radovan Karadžić ist nach wie vor unser Präsident“, sagen sie. „Der hat mehr Mut als Clinton“. 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung Pales würden die Karadžić-Partei wählen. Dabei komme es nicht darauf an, daß Karadžić als Kriegsverbrecher gesucht werde. Auch daß jetzt in dem Ort Nova Kasaba das bislang größte Massengrab ausgehoben wird, in dem vermutlich 2.500 Ermordete aus Srebrenica liegen, läßt die beiden kalt. „Das war im Krieg, alle Seiten haben Verbrechen begangen.“

Mehr Sorgen macht den Menschen die wirtschaftliche Lage. Zeljka, Mutter dreier Kinder, möchte endlich wieder normal leben können. Vor den Auslagen eines Geschäftes, in dem nach der Aufhebung des Embargos wieder alle Waren des täglichen Bedarfes angeboten werden, reibt sie Zeigefinger und Daumen aneinander. „Uns fehlt das Geld.“ Sie verdiene als Angestellte der Regierung nicht einmal 50 Mark im Monat, der Mindestlohn liege bei 30 Mark. „Davon kann man nicht leben.“

In einem Café in Pale stehen alle Gäste fest hinter „Dr. Karadžić“, wie sie ihn nennen. Mit seinem Rücktritt habe er bestimmt auch etwas erreicht, mutmaßt ein Polizist. „Wenn er vor kurzem sagte, er trete nur zurück, wenn der Posavina-Korridor endgültig zur Republika Srpska komme, dann meinte er das auch so.“

Die farbigen Plakate mit dem Konterfei von Karadžić hängen in Pale, dem früheren Wintersportort und heutigem Regierungssitz der bosnischen Serben, überall aus. Es sind aber nicht die Plakate des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, sondern Wahlkampfplakate der „Serbischen Demokratischen Partei“ (SDS). Karadžić ist in der Öffentlichkeit noch präsent. Selbst ein im Fernsehen ausgestrahlter Beitrag, der Karadžić mehrfach zitiert und die Bevölkerung aufruft, fest an der Seite der SDS zu stehen, führt bei den internationalen Institutionen in Sarajevo zu keinerlei Irritationen.

„Wir werden genau beobachten, ob sich die serbische Seite an das Abkommen hält“, hieß es am Freitag. „Wir haben im Augenblick nichts zu beanstanden“, heißt es jetzt. Man solle den Serben ein bißchen Zeit lassen, singt der Chor aus Vertretern der OSZE, der Bildt-Administration und der westlichen Botschaften.

In der Tat brauchen die Funktionäre der „Serbischen Republik“ in Bosnien jetzt Zeit, um die Ereignisse zu verdauen. Sonja, die Tochter von Karadžić, bringt als Chefin des Pressebüros in Pale zur Zeit kein Lächeln über die Lippen. Von einem geheimen Treffen der Führung der bosnischen Serben will die füllige Dreißigerin am Montag nachmittag nichts wissen. Dabei laufen bei ihr alle Fäden der Informationen zusammen. Doch es gibt keine Stellungnahmen, keine Interviews. Die Führung der Republika Srpska weiß offenbar noch nicht, wie sie auf den internationalen Druck reagieren soll.

Und der erhöht sich trotz der versöhnlichen Worte aus Sarajevo weiter. Nachdem US-Unterhändler Richard Holbrooke forderte, Karadžić solle Pale verlassen, brodelt die Gerüchteküche. Ein Vertreter der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR will von einem Angebot aus Rußland wissen, Karadžić aufzunehmen, andere Diplomaten sprechen von Zypern, wieder andere gehen davon aus, Karadžić werde in die von russischen Ifor-Truppen kontrollierte Zone um die bosnische Stadt Bjeljina ausweichen. Die Russen erklärten am Montag abend unmißverständlich, daß sie Karadžić auch dann nicht festnehmen würden, wenn es einen entsprechenden Befehl des Ifor-Kommandanten dazu gäbe.

Die Pläne für den Ernstfall sind trotzdem gemacht. Ifor-Truppen haben ihre verwundbaren Vorposten verstärkt oder zurückgezogen. Und bei der Polizeistation der UN- Polizei UNIPTF in Pale herrscht gespannte Ruhe. Zwar erklären die Polizisten aus Rußland, Deutschland, Griechenland und Somalia, es gebe zur Zeit keine Probleme. Doch seit den Drohungen des serbischen Polizeichefs in Pale, Polizisten als Geiseln zu nehmen, sollte Karadžić verhaftet werden, sind sie in den Alarmzustand versetzt. Mit den Ifor-Truppen seien Gegenmaßnahmen für den Ernstfall abgesprochen, sagt einer ihrer Sprecher.

Obwohl 150 US-amerikanische Ledernacken in Zivinice, einer Stadt in der Region Tuzla, aufgetaucht sein sollen, die nicht den Ifor-Truppen unterstellt sind, wird die Möglichkeit einer gewaltsamen Festnahme Karadžićs im Ifor- Hauptquartier heruntergespielt. Aber nicht dementiert.