Abwarten und Tee trinken mit Sun Tzu

Die CSU nutzt chinesische Weisheiten zur „Kunst des Krieges“ und des Verharrens. Sie verweigert im bayerischen Verfassungsausschuß beharrlich ein Gefecht mit der SPD über den Paragraphen 218  ■ Aus München Felix Berth

Markus Söder liest. Der schneidige, junge CSU- Abgeordnete hält sein Buch demonstrativ in die Höhe, so daß es zumindest jene Sozialdemokraten sehen, die ihm im bayerischen Landtag gegenübersitzen: „Die Kunst des Krieges für Führungskräfte. Sun Tzus alte Weisheiten, aufbereitet für die heutige Geschäftswelt“.

Sun Tzu sagt: Greife den Gegner nicht an, solange du keinen Vorteil siehst. Kämpfe nicht, solange keine Gefahr besteht. Marschiere, wenn es von Vorteil ist; wenn nicht, verharre an Ort und Stelle.

Nun sind die einzigen Marschbewegungen, die bei den zehn CSU-Abgeordneten im Verfassungsausschuß festzustellen sind, jene von ihren Stühlen zum Kaffeetisch und zurück; ansonsten scheinen sie die 2.500 Jahre alte chinesische Kunst der Verharrung gut zu beherrschen. Lediglich dann, wenn die beiden bayerischen Gesetze zum Paragraphen 218 Satz für Satz abgestimmt werden, ziehen Markus Söder und seine Mitstreiter kurz in den Kampf, recken die Arme und beenden ihren Angriff regelmäßig mit einem Sieg: Zehn Kämpfer (CSU) dafür, daß an den Gesetzen kein Komma geändert wird, sechs andere (SPD) dagegen. Ansonsten: Schweigen bei den Konservativen.

Sun Tzu sagt: Der kluge Feldherr weicht dem Gegner aus, solange dieser frischen Mutes ist. Er greift an, sobald der Gegner müde wird.

Doch hier fällt es dem Beobachter schwer, Markus Söders Taten seiner Lektüre zuzuschreiben. Denn selbst Montag nacht, als der Ausschuß kurz vor Mitternacht mittlerweile ziemlich erschöpft tagt, verzichtet er darauf, anzugreifen, und schweigt weiterhin. Nur ganz selten bricht ein anderer CSU-Kämpfer sein Schweigen, debattiert kurz mit den Sozialdemokraten – um dann wieder stillzusitzen. Bange Frage: Hat die SPD etwa auch Sun Tzu gelesen? Und besser verstanden?

Sun Tzu sagt: Selbst wenn die Truppen des Gegners zahlreich sind, kann ich ihren Kampfgeist brechen. Ich fordere den Gegner zu Scharmützeln heraus, um herauszufinden, welche Punkte er verteidigen und wann er angreifen wird.

Das mit dem „Brechen des Kampfgeistes“ kriegen die Sozis noch nicht gut hin. Aber zu Scharmützeln reicht es. Die Mahnung des Kardinals Friedrich Wetter, der Landtag solle doch mit seinen langen Beratungen über die bayerischen Sondergesetze kein derart „erbarmungswürdiges Bild“ abgeben, kommentiert SPD-Mann Klaus Hahnzog als „vordemokratische Fremdsteuerung“ der konservativen Abgeordneten. Die CSU versucht gar keinen Widerspruch, vermeidet jede Debatte.

Sun Tzu sagt: Man ist stark, wenn man es versteht, dem Gegner seine Bedingungen vorzuschreiben.

Und so hinterlassen die Mannen von der CSU einen Eindruck, den der große Sun Tzu gar nicht gemocht hätte: zu allem nicken, was von der Staatsregierung kommt

Allerdings, so mußte die SPD erfahren, hat diese Strategie ihren Preis. Denn der Versuch, die Debatte in die Länge zu ziehen und dazu gar Exkurse ins ägyptische Abtreibungsrecht vorzunehmen und die Toxikologie des Nitrosedimethylamins zu erläutern, wirkt gelegentlich etwas lächerlich. Immerhin müssen die Abgeordneten nach der Ausschußberatung, die gestern zu Ende ging, nächste Woche zum Sonderplenum antreten, damit die CSU das Gesetz noch vor der Sommerpause durchs Parlament bringt. Unser Buchtip für die Debatte: Wolfgang Schmidbauer: „Du verstehst mich nicht!“