So oder so ein Außenseiter

■ "Ich bin auf beide eingelebt", sagt Richard Plant über seine Identitäten als Homosexueller und als Jude. Das Schwule Museum würdigt das Leben des 86jährigen Germanisten, der heute in New York lebt

Aus Wut schrieb Richard Plant das Buch „Der Rosa Winkel – Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen“, das 1986 in den USA veröffentlicht wurde. Aus Wut darüber, daß dieses Kapitel der NS-Vergangenheit kaum aufgearbeitet worden war. Viele seiner schwulen Freunde, die nicht wie er rechtzeitig den Weg in die Emigration gewählt hatten, waren ermordet worden. Doch ihr Schicksal wurde weitgehend verschwiegen. Schon in den 30er Jahren hatte Plant begonnen, für dieses Buch Material zu sammeln, und er schildert darin auch seine eigenen Erfahrungen als Homosexueller in NS-Deutschland. Daraus entstanden ist eine der ersten historischen Untersuchungen zu diesem Thema, die weit über die USA hinaus Aufsehen erregte.

Die ganze Lebensgeschichte des 1910 in Frankfurt am Main geborenen Germanisten und Schriftstellers wird jetzt in einer umfänglichen Ausstellung des Schwulen Museums nachgezeichnet: „Frankfurt, Basel, New York: Richard Plant“. Wie schon bei den vorangegangenen Ausstellungen über den Fotografen und Filmausstatter Albrecht Becker und den Pfadfinderführer Heinz Dörmer ist es der Versuch, die Geschichte der Homosexuellen in Deutschland durch persönliche Schicksale erfahrbar zu machen und festzuhalten.

Auch bei Richard Plant sind es vor allem Fotografien, die diese Ausstellung lebendig machen. Schnappschüsse von einem Frankfurter Einkaufsbummel in den 30er Jahren oder vom New Yorker Strand in den 50ern erzählen ein Stück Kulturgeschichte ebenso wie Dokumente und Briefe: Der schwarze US-Dichter Langston Hughes dankte Plant für das Libretto zur Oper „Lizzi Borden“, und Klaus Mann schenkte ihm eine etwas eitel geratene Porträtaufnahme mit Widmung.

Plants Geschichte ist, wie Ausstellungsmacher Andreas Sternweiler schreibt, die „Biografie eines Intellektuellen, der sein Leben und Handeln immer wieder überdacht und sich kaum eine Entscheidung leichtgemacht hat“. Ein Leben auch, das von Begegnungen mit bestimmten Intellektuellen geprägt ist. In den 30er Jahren ist es Siegfried Kracauer, der Plants Vorbild und Lehrer wird. Durch ihn angeregt, beginnt er, über Filme zu schreiben. Kracauer eröffnet ihm auch die ersten Publikationsmöglichkeiten in Deutschland. Die Freundschaften mit Grete Weil, Theodor W. Adorno, Hannah Arendt und Norbert Elias während des Studiums an der Universität Frankfurt beeinflussen seine spätere journalistische und literaturwissenschaftliche Arbeit. In der Emigration trifft er Klaus Mann, Paul Tillich, Hans Sahl und Heinrich Böll.

Seine Promotion über Hedwig Courths-Mahler konnte Plant 1933 am Frankfurter Institut für Sozialforschung nicht mehr schreiben. Er verließ Deutschland und ging zunächst nach Basel. Seine Dissertation widmete er nun Arthur Schnitzler. Doch auch die Schweiz galt nicht mehr als sicher, und die Verdienstmöglichkeiten schwanden. 1938 übersiedelte er in die USA.

In der ersten Zeit versuchte er sich dort mit Kinderbüchern, Krimis und Zeitungsartikeln über Wasser zu halten. Der Aufbau, die Zeitung deutschsprachiger Emigranten, war viele Jahre lang einer seiner Hauptabnehmer. Über eine Emigrantenorganisation lernte Plant Klaus Mann kennen, der ihn zur Mitarbeit bei seiner neuen Zeitschrift Decision aufforderte. Zwei Jahre lang, von 1940 bis 1942, hielt sich diese „Review of free culture“, für die u.a. Jean Cocteau, Stefan Zweig, Janet Flanner und Heinrich Mann Beiträge lieferten. Plant betätigte sich als Filmkritiker, aber auch als Sekretär.

Das Verhältnis zu den Geschwistern Erika und Klaus Mann war gespannt. „Die beiden waren eben Prominentenkinder“, sagt Plant in einem Interview für den Ausstellungskatalog. „Die bekamen alles, wofür wir lange brauchten, mit einem Fingerschnippen. Ich hätte doch niemals zur New York Times gehen können und ihnen einen Artikel über Ernst Röhm oder so etwas anbieten können, geschweige denn, er wäre gedruckt worden.“

Aber Plant schaffte es auch ohne Prominentenbonus: Seine Mitarbeit als Texter in der psychologischen Kriegführung gegen Hitler-Deutschland verhalf ihm zu einer ersten akademischen Anstellung und später zu einer Professur für deutsche Literatur am New York City College. Die amerikanische Staatsbürgerschaft allerdings erhielt er erst 1945. Damals änderte er seinen Familiennamen Plaut in Plant.

1954 kehrte er in das neue Deutschland zurück, um Kontakte zu westdeutschen Zeitungen zu knüpfen und die deutsche Nachkriegsliteratur kennenzulernen. Aus Hamburg schrieb er einen Artikel („Literary Letter from West Germany“), der dem US-amerikanischen Publikum erstmals Luise Rinser und Heinrich Böll vorstellte. Umgekehrt berichtete er künftig auch für deutsche Zeitungen von bedeutenden amerikanischen Neuerscheinungen und Theateraufführungen.

Das Buch „Der Rosa Winkel“ ist für Plant so etwas wie eine Lebensaufgabe gewesen. Und Ausdruck dafür, daß er sein Engagement in Homosexuellenorganisationen und ein offen schwules Leben für wichtiger hielt als eine steile Wissenschaftskarriere. Eine bewundernswerte Konsequenz, gepaart mit Offenheit und intellektueller Sinnlichkeit. Um dies zu erfahren, muß man beim Ausstellungsbesuch allerdings einige Zeit und Aufmerksamkeit aufbringen, um die Texte zu den Fotos und Dokumenten zu studieren.

„Zu Beginn meines Lebens war die jüdische Identität die entscheidende, jetzt ist es die homosexuelle“, berichtet Plant im Interview. „Ich bin auf beide eingelebt, zwischen ihnen findet kein Kampf statt. Das Außenseitertum ist so oder so da.“ Und es ist auch in einer demokratischen Gesellschaft da, wie Plant erfahren mußte. Deswegen plant er auch ein weiteres Buch über die wachsende Homophobie in den USA. Aus Krankheitsgründen, so fürchtet Plant, der von einer kleinen Pension in einem New Yorker Apartment lebt, wird er dieses Projekt jedoch nicht mehr abschließen können. Axel Schock

Bis 1.12., Mi.–So. und feiertags 14–18 Uhr, Schwules Museum, Mehringdamm 61, Katalog von Andreas Sternweiler, Verlag Rosa Winkel, 119 S., 100 Abb., 32 DM