Gefängnis Atlanta

■ Wenige SpitzensportlerInnen unterstützen die Kampagne von amnesty international gegen die Todesstrafe in Georgia

Atlanta (taz) – „Olympia ist die beste Zeit, diese harten Fragen zu stellen“, ist sich Pierre Sane sicher. Es geht um Leben und Tod. Georgia ist einer von 34 US-Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe vollstreckt wird. Zuletzt starben 1995 zwei Menschen auf dem elektrischen Stuhl. Nun war Sane, der Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation amnesty international, nach Atlanta gekommen, um im Paschal Center, wo einst Martin Luther King zu seinen Mitstreitern sprach, die Olympia-Organisatoren an ihre schwülstigen Bewerbungsworte zu erinnern. Atlanta verkörpere die menschlichen Werte von Freiheit und Gleichheit und reflektiere als Geburtsstadt der Bürgerrechtsbewegung die hohen olympischen Ideale, hatten sie verheißen. „Warum soll damit nach den Spielen Schluß sein?“ fragt Sane. „Also, schafft endlich die Todesstrafe in Georgia ab!“

Mit Bedacht war der historische Ort, an dem für die Gleichberechtigung von Schwarzen und Weißen gestritten wurde, für den Start dieser internationalen Kampagne gewählt worden. „Rassistisch, willkürlich und unfair“, so Sane, sei die Todesstrafe im US-Bundesstaat Georgia, wo derzeit 103 Verurteilte in den Todeszellen sitzen. Seit 1977 wurden in Georgia 324 Menschen zum Tode verurteilt, 20 von ihnen hingerichtet, die fünfthöchste Zahl in den Vereinigten Staaten, wo insgesamt mehr als 3.000 Menschen auf ihre Hinrichtung warten. Schwarze werden in Georgia bis zu elfmal häufiger zum Tode verurteilt als Weiße. Nicht nur deshalb hält Sane die Todesstrafe in Georgia, wo noch nie ein Weißer für die Ermordung eines schwarzen Opfers zum Tode verurteilt wurde, für rassistisch. „Die Behörden messen dem Leben eines Weißen deutlich höheren Wert bei als dem eines Schwarzen“, sagt der amnesty-Generalsekretär.

Um der amnesty-Kampagne am Rande von Olympia den nötigen Anschwung zu geben, hat sogar der südafrikanische Bischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu seinen Segen gegeben. Auch Rosa Mota, die portugiesische Marathon-Olympiasiegerin von 1988, ist ins Paschal Center gekommen. „Wir können den zum Tode Verurteilten eine Goldmedaille schenken, und das ist ein langes Leben“, sagt die zierliche Person, eine der wenigen Spitzensportler, die die Aktion öffentlich unterstützen. Die früheren österreichischen Olympiasieger Toni Innauer und Petra Kronberger stehen ebenso mit ihrem Namen dahinter. Und eine deutsche Olympiasiegerin gehört zum Kreis der Förderer: die ehemalige Hochspringerin Ulrike Meyfarth.

Hinter der allgemeinen Zurückhaltung vermutet Pierre Sane bei vielen Athleten die Sorge um die eigene Karriere. Auch unter den deutschen Olympia-Aspiranten rührten sich nur wenige auf ein gezieltes Anschreiben von amnesty, das an 200 Aktive geschickt wurde. Von Marathonläuferin Uta Pippig kam zumindest eine schriftliche Absage. Nur Leichtathletin Karen Jung aus Mannheim, die sich nicht für Olympia qualifizieren könnte, unterschrieb den Aufruf zur Abschaffung der Todesstrafe in Georgia. Der Petition schlossen sich auch 11 von 20 Bürgermeistern ehemaliger europäischer Olympiastädte an. Münchens Christian Uhde unterschrieb und Silke Reyer, Stadtobere im Segelrevier Kiel. In Berlin und Garmisch-Partenkirchen rührte sich nichts.

Zusammen mit 500.000 Unterschriften aus Europa, wo die Aktion beheimatet war, soll die Bürgermeister-Petition dem Gouverneur von Georgia übergeben werden. Bis zum Ende der Spiele, soviel ist schon aus Imagegründen sicher, wird der elektrische Stuhl in Georgia ausgeschaltet bleiben. Im Moment, sagt Pierre Sane, sei Atlanta für die ganze Welt nur ein einziges großes Stadion. „Aber denken Sie daran: Atlanta ist auch ein Gefängnis.“ Ulrich Loke