■ Daumenkino
: James und der Riesenpfirsich

Glaubt man den Märchen, dann ist die Phantasie eine einsame Angelegenheit. Stets sitzen Waisen isoliert zur Zwangsarbeit an Erbsentöpfen und spinnen sich eine Welt aus Kürbiskutschen zusammen. Alles wirkt noch sehr sublim in dieser Kinderwelt.

Die Geschichte von Roald Dahl, nach der das Disney- Trick-Dream-Team um Henry Selick (Regie) und Tim Burton (Produktion) James und der Riesenpfirsich animiert haben, ist ein wenig moderner: Der kleine Held will nur nach Amerika. Seine Eltern hatten ihm New York in den Wolken gezeigt und unglaubliche Reisen versprochen, bevor das elektrische Gewitternashorn sie mit dem Blitz erschlug. Jetzt sitzt der Junge bei seinen Tanten fest, die ihn für die Hausarbeit ausbeuten und mit Fischköpfen ernähren.

Also bastelt sich James seinen großen Trip nach Übersee erst im Kopf zurecht, und wenig später wächst eben ein haushoher Pfirsich am Baum, auf dem er gemeinsam mit Heuschrecken, Spinnen, Käfern und Tausendfüßlern in die neue Welt segelt. Manchmal kommen ihnen zwar stählerne Haie quer oder auch Klabautermänner aus 1.001 Nacht, die meiste Zeit aber singen die Insekten leicht entschwebende Musicalnummern im Stil der dreißiger Jahre, die Randy Newman geschrieben hat. Bei soviel Melancholie muß Burton auch auf die Idee mit King Kong gekommen sein: Schließlich landet der Pfirsich von einer Sturmböe getrieben auf der Spitze des Empire State Building.

Der Weg dorthin ist eine 45minütige Stopmotionfahrt, an der Selick und Burton schon 1993 während der Drehpausen zu „Nightmare before Christmas“ gearbeitet hatten. Die gesamte Animation hat trotzdem noch drei weitere Jahre gedauert. Neue Techniken wurden ausprobiert, Puppen mit Computergrafik gemixt; am Ende des Films sieht man Menschen, virtuelles Spielzeug und Pappkulissen bruchlos interagieren wie in einer futuristischen Toy Story. Die mit realen Figuren drumherum gebastelte Rahmenhandlung ist allerdings nicht minder fremd. Die Tanten sehen wie gruftig zerzupfte Putzschwämme aus und heißen auch so; ihr Häuschen leuchtet in LSD-Farben auf einem gespenstisch umnebelten Hügel. Alles erinnert sehr an Burtons Liebe zu obskurem Gruftambiente und Fin-de- siècle-Kitsch: „Wir haben uns schon sehr früh entschieden, den Film in einer stilisierten Welt beginnen zu lassen, die beinahe wie das Set eines Theaterstücks oder einer Operninszenierung wirkt“, so Selick. Ein Effekt mit Folgen: Je weiter die Wirklichkeit entfernt liegt, um so größer ist die Identifikation mit dem Trick. Dort warten lächelnd die Objekte. hf

„James und der Riesenpfirsich“. Regie: Henry Selick