Ermittler sollen mehr wissen, als sie zugeben

■ Die Suche nach den Wrackteilen des TWA-Flugs löst neue Spekulationen aus

Washington (taz) – Im Ramada Plaza Hotel des New Yorker John- F.-Kennedy-Flughafens richtet sich die Stimmung der Gäste seit einer Woche nach „schlechten“ und „guten“ Nachrichten. „Schlecht“ ist, wenn es nichts zu berichten gibt, „gut“ ist, wenn die Taucher weitere Leichen gefunden haben. Seit einer Woche sind die Angehörigen der 230 Opfer des Absturzes der TWA-Verkehrsmaschine in diesem Hotel versammelt – abgeschirmt von der Presse, versorgt von TWA-Mitarbeitern, Psychologen und dem Roten Kreuz. Seit einer Woche besteht ihr Tagesablauf darin, auf die Stellungnahmen von Sprechern der U.S. Coast Guard, des National Transportation Safety Board (NTSB), des New Yorker Gouverneurs George Pataki oder auf Fernsehauftritte von FBI-Beamten zu warten – und auf die erlösende wie gefürchtete Aufforderung, ins Leichenschauhaus von Suffolk County zu kommen, um ihre Verwandten zu identifizieren. Von den Insassen der Boeing 747, die letzten Mittwoch auf ihrem Flug nach Paris kurz nach dem Start in New York in der Luft explodierte und ins Meer stürzte, konnten bislang nur 108 geborgen werden. Die sterblichen Überreste von mindestens 60 Passagieren werden in größeren Wrackteilen vermutet, die Taucher am Montag auf dem Meeresboden lokalisiert haben.

Das Warten und die Ungewißheit über die Absturzursache lösen Wut und Frustration aus. Daß die Ermittler längst mehr wissen, als sie öffentlich zugeben, gilt im Ramada Plaza als unbestritten. „Die halten doch alles unterm Deckel, damit die Olympischen Spiele ungestört weitergehen“, empört sich ein Vater, dessen Sohn zu den Opfern gehört. Die Behörden wiederum insistieren offiziell darauf, daß es bislang keine schlüssigen Hinweise auf die Absturzursache gibt. Ungenannte Ermittler haben allerdings wiederholt erklärt, man gehe „zu 95 Prozent davon aus“, daß an Bord der TWA-Maschine eine Bombe explodiert sei. Erste Tests an einem Teil des Wracks hätten chemische Spuren gezeigt, die auf eine solche Explosion hinwiesen. Auf Nachfragen dementierten NTSB-Sprecher jedoch, daß man schon zu Schlußfolgerungen gelangt sei.

Allerdings gilt ein technischer Defekt als Absturzursache als ebenso unwahrscheinlich wie das dritte Szenario, wonach die Boeing mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden sein könnte. Augenzeugen, die den Absturz beobachtet hatten, wollen einen „feuerwerksähnlichen Körper“ gesehen haben, der sich auf die TWA-Maschine zubewegt habe. Sprecher des US-Militärs wiesen darauf hin, daß es höchst schwierig sei, ein Flugzeug in knapp 4.000 Meter Höhe mit einer schultergestützten Rakete abzuschießen.

Vor allem im amerikanischen Fernsehen wird ein Terroranschlag als Absturzursache quasi vorausgesetzt. Womit aber ein weiteres Fragezeichen auftaucht: Wenn der Absturz der TWA-Maschine auf das Konto einer Terrorgruppe geht, dann fehlt bislang das Bekennerschreiben. Andrea Böhm