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Während die deutschen Touristen an türkischen Stränden rösten, ist in den Knästen des Landes der dritte Häftling im Hungerstreik gestorben. Weitere Gefangene befinden sich im Koma. Versuche der Zwangsernährung sind gescheitert. Justizbeamte

Während die deutschen Touristen an türkischen Stränden rösten, ist in den Knästen des Landes der dritte Häftling

im Hungerstreik gestorben. Weitere Gefangene befinden sich

im Koma. Versuche der Zwangsernährung sind gescheitert. Justizbeamten wurde der Zutritt zu den Zellen verweigert.

Die neue türkische Regierung bleibt knallhart: Die Gefängnisse, behauptet der islamistische Justizminister

Sevket Kazan, seien „Ausbildungszentren des Terrorismus“.

„Todesfasten“ bis zum bitteren Ende

Entsetzen und Wut hörte man in der Stimme des berühmten türkischen Romanciers Yasar Kemal. Gestern hatte er Istanbuls Journalisten zu einer Pressekonferenz zum Hungerstreik der politischen Gefangenen eingeladen. „Ich sage nicht, daß die Gefangenen gestorben sind. Sie sind ermordet worden. Der Justizminister hat den heiligen Krieg erklärt. Sie klatschen Beifall zu Tod und Mord. In den Gefängnissen der Türkei werden Menschen gefoltert. Das sind keine Gefängnisse, das sind Konzentrationslager. Die Konzentrationslager Hitlers hat die Welt gesehen. Jetzt provoziert die Türkei die Menschlichkeit“.

Der Schriftsteller Orhan Pamuk und der Komponist Zülfü Livaneli standen Yasar Kemal zur Seite. Bevor es zu weiteren Toten komme, müsse der Staat den Gefangenen ihre Rechte zurückgeben und so den Hungerstreik beenden.

Kurz nach Ende der Pressekonferenz traf die Nachricht vom dritten Opfer ein. Der 35jährige Zahnarzt Ilginc Özkeskin, der sich seit 1994 in Untersuchungshaft befindet, starb am 65. Tag des Hungerstreiks im Istanbuler Sondergefängnis Bayrampasa.

Özkeskin ist der dritte Tote innerhalb von vier Tagen. Dennoch ist ein Einlenken des Justizministeriums in weiter Ferne. An eine Rücknahme der ministeriellen Verfügung zur Verschärfung der Haftbedingungen, die Anlaß des Hungerstreiks ist, wird nicht gedacht. Justizminister Sevket Kazan macht „Rädelsführer“ der Hungerstreikenden für die Todesfälle verantwortlich. Die Gefangenen würden gewaltsam zum Hungerstreik gezwungen. Der Staat habe längst die „Kontrolle über die Gefängnisse“ verloren. Von einer „Terroristenzentrale“ im Istanbuler Gefängnis Bayrampasa aus werde der Hungerstreik dirigiert.

Unterdessen haben Familienangehörige der gestorbenen Gefangenen Strafanzeige gegen den Justizminister erstattet. Er habe den Tod der Gefangenen billigend in Kauf genommen. Rechtsanwälte des angesehenen Vereins „Zeitgenössischer Juristen“ haben den Ausschluß von Sevket Kazan aus der Anwaltskammer beantragt. Trotz aller Appelle seitens der Anwaltskammer, der Ärztekammer und zahlreicher anderer Berufsverbände und Gewerkschaften hält der Justizminister an der harten Gangart fest.

Von den Hungerstreikenden werden zahlreiche Forderungen aufgestellt. Es geht um menschenwürdige Haftbedingungen, um Essen, Besuchszeiten, um die Möglichkeit, Bücher und Zeitungen zu lesen. Doch zentrale Forderung der Gefangenen ist es, daß Untersuchungshäftlinge nicht in Gefängnissen, die weit von ihrem Wohn- und Gerichtsort entfernt sind, eingesperrt werden. Übergriffe bei den Gefangenentransporten über mehrere hundert Kilometer sind üblich. Familienangehörige, meist bettelarm, können die Gefangenen nicht besuchen. Oft erfahren sie viel zu spät, wo sich die Gefangenen überhaupt befinden.

Vergangene Woche wurde ein Bericht des Justizministeriums publik, wonach in den türkischen Gefängnissen 8.652 Personen aufgrund des „Antiterrorgesetzes“ als politische Gefangene Untersuchungshaft oder reguläre Haft absitzen. Sie sind meist Mitglieder der PKK oder anderer illegaler linker türkischen Organisationen. Die Mehrheit unter ihnen sind Untersuchungsgefangene.

Politische Prozesse ziehen sich im Regelfall über mehrere Jahre. Die Praxis, Untersuchungsgefangene von ihrer Heimatstadt durch Verlegung in entfernte Gefängnisse zu isolieren, scheint derzeit Hauptgrund des Hungerstreiks zu sein. Ein Einlenken des Justizministeriums in dieser Frage, so die Vermutung des Vorsitzenden des Istanbuler Menschenrechtsvereins, Ercan Kanar, würde den Hungerstreik wahrscheinlich beenden.

Doch gleichzeitig ist das „Todesfasten“ zu einer Kraftprobe zwischen Regierung und linken Organisationen geworden. Der Staat setzt geradezu auf Tote, um gewaltsam den Widerstand in den Gefängnissen zu brechen. Der ehemalige Justizminister Mehmet Agar, den Gefangenen aus der Zeit als Polizeipräsident als Folterknecht bekannt, hat vor zwei Monaten neue Bestimmungen zum Haftvollzug verfügt und so die Haftbedingungen verschärft. Er war sich durchaus darüber im klaren, daß dies Hungerstreiks auslösen würde. Der neue Justizminister Kazan von der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ führt die Politik seines Amtsvorgängers, der jetzt Innenminister geworden ist, fort.

Auf der anderen Seite betreiben viele linksradikale Organisationen ein makaberes Politikgeschäft mit dem Tod. In den Erklärungen werden Todesfälle geradezu als „Sieg“ gefeiert. Die Gefangenen seien beim Todesfasten „gefallen“, hieß es gestern in einschlägigen Erklärungen.

Innerhalb der Gefängnisse sind die Organisationen präsent. Häufig sind in den Zellen mehrere Dutzend politischer Gefangener derselben Organisation eingesperrt. Das Justizministerium will diese Infrastruktur in den Gefängnissen zerschlagen. Das europäische Modell – möglichst mit Einzelhaft – ist das neue Vorbild.

Nach dem Modell des Sondergefängnisses Eskisehir – es trägt unter den Gefangenen den Spitznamen „Sarg“ und ist europäischen Hochsicherheitstrakten mit Isolationshaft nachgeahmt – sollen türkische Gefängnisse umgebaut werden. Justizminister Kazan rühmt bei jeder Gelegenheit das Gefängnis, dessen Schließung die Hungerstreikenden fordern.

Die kompromißlose Haltung des Staates zeigt sich nicht nur in den Gefängnissen. Väter, Mütter, Geschwister, die seit Wochen mit friedlichem Protest auf der Straße auf das Schicksal ihrer Familienangehörigen in den Knästen aufmerksam machen wollen, werden von Polizei zusammengeknüppelt und verhaftet. Mehrere hundert Menschen befinden sich derzeit in Polizeihaft. „Noch nie war die Barbarei der Sicherheitskräfte gegen das Volk so groß“, sagt Yasar Kemal. Ömer Erzeren, Istanbul

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