Weser voll gesperrt

■ Für 1,6 Millionen Mark wurde am Wasserwerk ein Trinkwasserrohr verbuddelt / Binnenschiffer kriegten Krise / Der Wasserbauer: „Nur nit huddelen!“

Stimmung im Häuschen des Schleusenwarts am Bremer Weserwehr: Der Kapitän der niederländischen MS Evelien fuchtelt mit einem Zettel herum und brüllt. Und brüllt. Und brüllt. Mindestens sechs, vielleicht sechzehn Stunden soll er vor der Schleuse liegen und warten. Er hat dem Wasser- und Wirtschaftsamt eine Rechnung über 600 Mark geschrieben, „Liegegeld“, wie er schreibt. Aber niemand will ihm die Rechnung abnehmen. Der Skipper stößt wüste Drohungen aus: „Ich leg' mein Schiff quer vor die Schleuse!“

Der Grund für den Streß an der Schleuse liegt einige Flußkilometer tiefer. Höhe Wasserwerk hieß es gestern: Vollsperrung der Weser wegen der Verlegung einer neuen Trinkwasserleitung durchs Flußbett. Den ganzen Tag lang wurde ein sogenannter Düker in eine während der letzten 14 Tage gebuddelten Rinne auf den Grund der Weser abgesenkt. Das 160 Meter lange, gut 100 Tonnen schwere, betonummantelte Rohr wurde millimeterweise von vier Autokränen zu Wasser gelassen. Das Spektakel lockte jede Menge Zuschauer an.

Der alte Düker, eine von sieben Leitungen über die Weser oder drunter durch, war 70 Jahre alt und undicht. Er ist inzwischen ausgegraben und verschrottet worden. Bereits im letzten Jahr hatten die Stadtwerke versucht, zusammen mit einem holländischen Spezialunternehmen nach einem neuen Verfahren einen Tunnel unter der Weser vorzutreiben. Doch man stieß auf eine undurchdringliche Mergelschicht. Der Versuch ging gründlich schief und kostete die Stadtwerke und die Holländer eine Menge Geld. Gestern also wurde „konservativ“, mit Rinne statt Tunnel, unterdükert. Die Stadtwerke geben an, daß trotz des Fehlversuches die ursprünglich angepeilten Baukosten von 1,6 Millionen Mark nicht überschritten werden.

Ein Rohr wird in der Weser verbuddelt – so profan möchte es der Leiter Wasserbaubereich der projektleitenden Firma Hülsken aus Wesel am Niederrhein nicht sehen. Für ihn ist ein Düker ein Bauwerk wie eine Brücke oder ein Haus, nur eben unsichtbarer. Joachim Hewicker: „Die Firma Hülsken erstellt solche Bauwerke in klassischer Verlegeweise seit 1905.“ Seine Leute sind Spezialisten, die er „schiffig“ nennt – Seeleute, die sich an Land nicht wohlfühlen. Zum Beispiel der Kollege auf dem 600-PS-Schwimmbagger, der im trüben Weserwasser in zehn Metern Tiefe auf 5 Zentimeter genau gebaggert hat. Niemand weiß, wie er das schafft, Hewicker sagt: „Tastgefühl.“ Das brauchten auch die Taucher der Bremer Philip Sayers Tauchunternehmen/Kampfmittelbeseitigung, die bei „Sichtweite null“ die Querrinne vor dem Dü-kerabsenken noch einmal auf eingeschwemmte Findlinge o.ä. untersuchten. Das eben ist eines der Risiken im Dükerbaugeschäft – plötzlich gibt's Hochwasser, und die Rinne ist wieder voll Sand.

Vorsorglich war die Weser von 5 Uhr morgens bis 24 Uhr gesperrt worden. Sicher ist sicher oder, wie man am Niederrhein sagt: „Nur nit huddelen“. Weil aber alles gut ging, durften die ersten Binnenschiffe schon gegen 18 Uhr wieder passieren. Jetzt ragen nur noch die Enden der 60 cm starken Leitung an beiden Ufern aus dem Wasser. 1,6 Millionen wurden vorschriftsmäßig in den Sand gesetzt.

Nur etwa zwölf Binnenschiffer und einige Bootstouristen sind nachhaltig verärgert. Obwohl in allen Häfen seit Wochen auf die Vollsperrung der Weser hingewiesen wurde und das Ereignis auf dem Sabbelkanal 10 des Binnenschifferfunks gebührend besprochen wurde, tappten sie in die Falle. Neben der MS Evelien auch ein Kanut aus Berne, der beim rot-weiß-roten Sperrschild an der Weser mürrisch sein Boot aus dem Wasser zog. Der Sportsmann war Samstag bei Hannoversch-Münden gestartet. Der Düker in Bremen machte ihm den Schnitt kaputt. BuS