Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 11

Aber Herberts Kadaver wurde erst einmal auf Eis gelegt. Denise wurde mit einem Schock in das nächste Krankenhaus eingeliefert. Zu ihrem Glück paßte Carola im Waschkeller auf die 90-Grad-Wäsche auf, das machte sie ganz Supra und gewissenhaft Ultra. Und Afram, der Grieche, unbewegte sich immer noch an seinem Fenster. Zurück blieb die Erinnerung an Herbert Schmackes durch einen Umriß aus Kreide auf dem nackten Beton. Neben ihm streckte sich eine Montechristo aus Havanna auf den Platten aus. Sie lebte noch. Brook schob sich die Montechristo in den Mund. Die Montechristo aus Havanna hielt sich zwischen Brooks Lippen fest. Und zufrieden ließ sie sich von Brook rauchen. Brook besetzte die Bank von Poller und Glatter. Auch Brook setzte sich kurz in die Vergangenheit ab. Und vor ihm setzte eine Elster auf. Sie zählte für Brook die glitzernden Scherben im Sand. Ein alter Mann wie Kommissar Brook zählte nicht mehr. Er wartete auf das Recht der Natur und übte das Schließen seiner Augen. Die Elster flog über den Wolken, wo die Freiheit noch grenzenlos sein soll. In ihren Krallen: die weiße Scherbe einer Flasche Tequila. Und die Nacht spuckte Schwarzes und Kaltes in den Hinterhof. Sie biß Brook in den Nacken, ins Gesicht, bis seine Finger einfroren und die Montechristo aus Havanna zu Tode würgten. Die Montechristo ging zu Boden. Aber Brook ließ sie mit ihrem Schicksal nicht allein. Er sammelte die Reste zusammen und steckte sie in die Jackentasche. Herbert hat nie geraucht, seltsamte Brook beim Aufbruch. Dann ließ er diesen Gedanken fallen. Er starrte zu dem Fenster von Afram hoch. Der einzige Zeuge!? Aber dieser schnüffelnde Gedanke ging in Brook unter. Ihm war nicht nach Kommissar. So ging Brook mal wieder in Großstadt machen, in den Untergrund; die U-Bahn. Die Nacht trinken. Aber sonst ging noch nichts, außer seinen Füßen, die ihn später vor dem Fahrkartenautomaten absetzten. Seine Schritte hallten rhythmisch von den Wänden zurück. Der Kommissar hatte einen sehr musischen Schritt. Er fütterte den Fahrkartenautomaten mit Silber. Zu seinem Entsetzen sumpfte das Ticket in einer mit Speichel und Ketchup gefüllten Fahrkartenausgabe. Der Kommissar langte entschlossen zu und leckte den Wisch ab. Das Ticket war als Ticket noch zu erkennen. Es trocknete sich dankbar im Futterstoff seiner Hosentaschen ab. Die Welt braucht diesen Dreck, dachte sich Kommissar Brook. Und auf den Bänken im Bahnhof streckten sich Obdachlose aus. Diese hochnervösen Stränge vibrierenden Lebens, dachte Kommissar Brook sich schon wieder etwas aus, sie sind die Ausweise jeder Metropole! Mit diesen und anderen Gedanken stieg Kommissar Brook im Hauptbahnhof ein. Er fuhr mit der U-Bahn durch die kariösen Häuserzeilen der Stadt. Er las sie wie zerstreute Zitate und Klappentexte. Schatteninszenierungen auf mumifizierten Fassaden; ein Kino im Fluß. Rechts und links der Gleise hatte Hamburg seine Exkremente ausgespuckt. Die Luft war Abgas. Der Boden litt Gift. Asphalt gleich Aaswald. Milieu gleich Müllieu. Hundekot im Hinterhof.

Und die Stadt Hamburg, die Kommissar sonst mit einer Hure, einer Dirne oder einfach mit einer Frau verglichen hatte, war ihm jetzt nur noch Stein auf Stein. Ihr magischer Bann war reduziert auf die Reeperbahn. Brook brauchte wieder hausnahe Erlebnisse, diesen Moment zwischen letzter U-Bahn und dem Verbrechen. Mit diesen und anderen Gedanken stieg Kommissar am Hauptbahnhof wieder aus.

(Fortsetzung folgt)

Copyright Achilla Presse, Bremen