taz-Serie
: Für Leib und Seele

■ Bremer Buchläden fürs Besondere (2): „Orlando“– Judaica nebst Wein & Öl

Italieni-scher Weinessig, die Halbliter-Flasche zu 12,90 Mark, Sugo „Torre Saracena“, Olivenöl „ex-tra vergine“ in mehreren Varianten und Regale voller ausgesuchter Weine aus allen Regionen des Stiefel-Landes: Wir sind in einem Buchladen. Genauer gesagt, in einem Laden für „Weine & Feines“, wie es über dem Eingang von „Orlando“ an der Contrescarpe 45 geschrieben steht.

Doch halt. „Weine & Feines“, das ist etwas anderes als „Orlando“, der Buchladen. Nämlich die Niederlassung des Import- und Versandgeschäfts „Il vino“ von G. & R. Wedel, allerdings im gleichen Raum. Man hat sich nämlich einfach zusammengetan, um den an Geistigem interessierten Kunden mehr bieten zu können. Schließlich wollen Körper und Geist, Magen und Kopf gleichermaßen kultiviert umsorgt sein.

Dieser gut humanistischen Einsicht war einst auch schon Vicenzo Orlando gefolgt, als er vor einigen Jahren begann, Wein in seinem Buchladen zu verkaufen. Ihm aber gehört der Laden, der noch immer seinen Namen trägt, schon seit fast drei Jahren nicht mehr. Im Oktober 1993 nämlich übernahm die Wienerin Susanne Jakubec – aus privaten Gründen von der Donau an die Weser verschlagen – das Geschäft. Und sie hat die Zeichen der Zeit erkannt und den von Orlando gebahnten Weg der geistigen Allroundnahrung weiter ausgebaut. Die Kunden, die zu ihr kommen, suchen denn auch nicht das Vollsortiment der Bestseller-, Ratgeber- und „Buch zum Film“-Literatur, sondern schätzen eine kompetente Beratung abseits der ausgetretenen Pfade des auflagenstarken Mainstream-Buchmarktes.

Deswegen findet man bei „Orlando“ nicht nur das beinahe vollständige Programm kleinerer Verlage wie Wagenbach, Achilla oder Donat, sondern auch wirklich Abseitiges. So zum Beispiel die Reihe „Archive des Alltags“ aus dem Dortmunder Schack-Verlag, deren bisher erschienene Bände 1-4 die Themen „Kino der 50er Jahre“, „Waschsalon“, „Pissoir“ und „Keller“ in Wort und Bild abhandeln.

Neben solchen Skurrilitäten und einer ausgeprägten Abteilung für Kunst (insbesondere Architektur und Fotografie) gilt ein besonderer Schwerpunkt des Sortiments den Judaica sowie der Aufarbeitung der deutschen Nazi-Geschichte. Zu letzterem veranstaltete „Orlando“ zum Beispiel 1994 eine Erstpräsentations-Lesung des im Bremer Donat-Verlag erschienenen Buches „Verschollen in Deutschland“, einer Dokumentation, in der die Radio Bremen-Redakteurin Karla Müller Tupath das heimliche Leben des SS-Obersturmführers Anton Burger in der Bundesrepublik nachzeichnet.

Das Veranstalten von Lesungen gehört denn auch seit Jahren zum bekannten und gut eingeführten Programm dieses Buchladens, der in hohem Maße von langjährigen Stammkunden lebt. Und die halten „Orlando“ nicht zuletzt deshalb die Treue, weil „man hier auch schon mal einen halben Nachmittag beieinander sitzen und andere Kunden kennenlernen kann“, wie Susanne Jakubec erklärt.

Und genau dazu eignet sich die Kombination von ausgesuchten Büchern und Weinen hervorragend. Schade nur, daß die Stadt immer noch nicht auf die Idee gekommen ist, auf dem Kennedy-Platz, schräg vor dem Geschäft, einen Caféhaus-Pavillon zu errichten, wie die Wienerin es sich erträumt. Ein solcher nämlich würde sicher dafür sorgen, daß auch ihr kunstsinniger und philosophischer Ort der Kontemplation etwas mehr frequentiert würde. Warum stellt Susanne Jacubec eigentlich nicht selbst ein paar Tische und Stühle auf den einladenden Kennedyplatz?

Moritz Wecker

„Orlando“, Contrescarpe 45, Mo-Fr 10-18.30, Sa 10-14 Uhr