Nachts denkt Paule sich was aus

■ Mit einem 3:1 gegen den „doofen“ Weltmeister Pakistan wahrten die deutschen Hockeyspieler ihre Halbfinalchance

Atlanta (taz) – Für kein anderes olympisches Ereignis ist es so leicht, Karten zu bekommen, wie für das Hockeyturnier. Die Einheimischen mögen nicht recht einsehen, warum man Hockey auf einem Kunstrasen spielen soll, wo es doch so schöne Eisflächen gibt. Aber weil die Tickets billig sind, verirren sich doch einige ins Morris Brown College und amüsieren sich, wenn jemand, der etwas Böses tut, eine Green Card bekommt.

Natürlich besuchen sie am liebsten die Spiele des US-Teams, gegen Pakistan beispielsweise, weil sie davon ausgehen, daß sie einen wunderbaren Sieg ihrer Boys feiern können. Wann haben die USA schon jemals bei irgend etwas gegen Pakistan verloren? Woher sollen die Leute auch wissen, daß ausgerechnet diese Drittweltler das beste Hockey der Welt spielen.

Oder spielten, besser gesagt, denn bei diesem olympischen Turnier hat sich der Weltmeister so gut wie verabschiedet. Das sang- und klanglose 1:3 gegen das deutsche Team am Mittwoch war bereits die zweite Niederlage. Die Mannschaft ist nur noch ein Schatten früherer Glanzzeiten. „Eigentlich hatten sie außer bei dem Tor keine Chance“, sagte der herausragende Libero Carsten Fischer vollkommen richtig. Besonders erstaunlich war, wie schludrig die Pakistaner mit ihren Kontern in Überzahl umgingen, einstmals fast unfehlbare Torerfolge.

Ihr großer Star Mohammed Shabbaz ist zwar vor Olympia im letzten Augenblick ins Team zurückgekehrt, nachdem er und andere wichtige Spieler vorher lange Zeit mit dem Verband verkracht waren und nicht gespielt hatten, aber auch er konnte seiner Mannschaft trotz einiger brillanter Aktionen kein Feuer verleihen.

Die Deutschen hatten nach ihrer Niederlage gegen Spanien und dem Unentschieden gegen Indien den Sieg genauso nötig wie Pakistan. „Jeder Punkt, der jetzt noch weggeht, heißt Aus“, weiß Carsten Fischer, „wir waren ziemlich angespannt.“ Das frühe Strafstoßtor von Andreas Becker sorgte für die nötige Nervenberuhigung, eine nachtgeborene Strafeckenvariante in der 49. Minute für die Vorentscheidung. „Das hat sich der Paule, glaube ich, morgens um halb sechs ausgedacht“, verriet Sven Meinhardt, der nach einer raffinierten Kombination über mehrere Stationen das 2:0 erzielt hatte. Paule ist Trainer Paul Lissek, der vermutlich selbst nicht genau weiß, ob er nächtens über die Schwächen der Gegner nachgrübelt, weil er nicht schlafen kann, oder ob er nicht schlafen kann, weil er über die Stärken der Gegner nachgrübelt. Die pakistanische Strafeckenabwehr hatte er jedenfalls richtig analysiert, was laut Abwehrspieler Christian Blunck nicht unbedingt schwer ist: „Die sind ja so doof. Die stellen sich immer auf die gleiche Weise hin und laufen immer gleich.“

Frustriert beschlossen die Pakistanis, dem amerikanischen Teil des Publikums etwas Vertrautes zu bieten: Muhammad Khalid streckte Oliver Domke kurz vor Schluß mit einem kombinierten Crosscheck-Faustschlag nieder und wurde vom Platz gestellt.

Einen Sieg gegen Punktelieferant USA vorausgesetzt, muß das deutsche Team heute gegen Argentinien gewinnen (15 Uhr, 3sat), um ins Halbfinale einzuziehen. Und das, weiß Kahlkopf Fischer, „wird schwerer als gegen Pakistan“. Hauptsache, Paul Lissek schläft nicht aus Versehen ein. Matti Lieske