Ismael und die Wolkenkratzer

Das Handballteam von Kuwait wird nicht Olympiasieger  ■ Von Matti Lieske

Atlanta (taz) – Nationaltrainer in Kuwait zu sein ist kein leichter, aber dafür auch kein langweiliger Job. Ilija Puljevic ist Coach des Handballteams. Nach dem 20:32 gegen Rußland sagte er, er sei sehr zufrieden mit dem Spiel seiner Mannschaft. Dann fügte er leicht säuerlich hinzu, man habe sich schließlich nur einen Monat vorbereiten können. Vor vier Wochen nämlich hatte der kuwaitische Handballverband praktisch das gesamte Team ausgetauscht.

Von denen, die sich voriges Jahr bei der WM in Island recht achtbar schlugen, sind jetzt nur noch zwei Akteure dabei. Der Grund für die rabiate Aktion? „Es hat Probleme gegeben.“ Was für Probleme? „Da müssen sie den Verband fragen.“ Der jedoch ließ sich wohlweislich nicht blicken.

Daß in Kuwait ordentlich Fußball gespielt wird, weiß man spätestens seit dem spektakulären Auftritt des später im Golfkrieg umgekommenen Scheichs Al-Sabah bei der WM 1982 in Spanien. Damals stürmte der oberste Sportführer des Landes in traditioneller Kluft den Platz, weil er ein Tor der Franzosen annulliert haben wollte. Dann erklärte er die FIFA zu einer Versammlung von Gangstern und Mafiosi.

Einige Bewohner des Wüstenstaates wissen aber auch kleinere Bälle zu handhaben. Obwohl Kuwait als führende Handballnation Asiens gilt, ist das eine relativ neue Erkenntnis. Betrieben wird der Sport, wie Mannschaftskapitän Khaldoun Alkhaschti berichtet, in einer Liga von zwölf Klubs mit je zwanzig Spielern, die allerdings alle Amateure seien. Nur zwei Stunden täglich könnten sie deshalb trainieren.

Doch die Zeiten, als starke Mannschaften wie Rußland derartige Gegner auf die leichte Schulter nehmen konnten, sind vorbei. Das mußten bei der WM im letzten Jahr schon die Spanier erfahren, die nur mit drei Toren Unterschied gegen Kuwait gewannen. Auch die Russen staunten im Congress Center von Atlanta nicht schlecht, als die Kuwaitis schnell mit 2:0 in Führung gingen.

Rund zehn Minuten, bis zum 7:10, konnte Kuwait gegen den Europameister mithalten, dann hatten sich die Russen auf die flinken Gegner eingestellt und erzielten zehn Tore in Folge. Trainer Wladimir Maximow war trotzdem nicht zufrieden, besonders mit seiner Defensive: „Unsere zentrale Abwehr hat sie viel zu oft treffen lassen.“

Auf Dauer setzte sich aber gerade in der Abwehr der Größenvorteil durch. Während bei den Kuwaitis kein Spieler die 1,90 Meter erreicht, kann Maximow gleich vier Zweimetermänner aufbieten. Ihre Gegenspieler müssen Almarzouq und Kollegen vorgekommen sein wie die Wolkenkratzer in Downtown Atlanta. Besonders putzig sah es aus, wenn der kuwaitische Moppel Ismael Shzadah zwischen Oleg Grebnew (2,03m), Dmitri Torgowanow (2,00m) und Sergej Pogorelow auf den Ball lauerte. Shzadah bringt es mit seinen 1,76 Meter auf 100 Kilo. Aus dem Rückraum war für Kuwait kaum ein Durchkommen, deshalb mußte man immer wieder versuchen, riskant die Kreisläufer anzuspielen. Doch das führte zu vielen Ballverlusten und Tempogegenstößen der Russen.

Aus 14 Fastbreaks machten die 13 Tore, die Kuwaitis schlossen ihren ersten vielbejubelten Tempogegenstoß erst spät in der zweiten Halbzeit ab. Da stand es schon 25:12 für die Russen, die am Ende doch noch übermütig wurden und das Publikum mit einem doppelten Kempa-Trick bezauberten.

„Ein lebendiges und aktives Spiel“ sei es gewesen, lobte Maximow, und sein Kollege Puljevic sagte, man sei sowieso nur gekommen, um Erfahrungen zu sammeln. Das Häuflein kuwaitischer Fans – hauptsächlich Frauen und Kinder der Spieler, die jedes Tor begeistert feierten – sah das etwas anders. Sie schwenkten Fahnen, mit denen sie gleichzeitig ihr sportliches und ihr politisches Anliegen in bezug auf die noch im Irak befindlichen Kriegsgefangenen kundtaten. „Wir wollen nicht nur Gold“, stand dort geschrieben, „wir wollen auch unsere POWs.“