Rätsel um neue mexikanische Guerilla

Die „Revolutionäre Volksarmee“ im Bundesstaat Guerrero bleibt mysteriös. Die Regierungstruppen gehen vor allem gegen die mächtigste Bauernorganisation vor  ■ Aus Mexiko-Stadt Anne Huffschmid

Sie legten einen Blumenkranz nieder, schossen mit ihren nagelneuen AK-47 Gewehren in die Luft und verteilten ein Manifest, in dem sie zum „legitimen“ bewaffneten Kampf aufriefen. Das war am 28. Juni, auf einer Gedenkveranstaltung für jene 17 Bauern, die ein Jahr zuvor von Polizeischergen im mexikanischen Bundesstaat Guerrero massakriert worden waren. Seit diesem ersten und bislang einzigen öffentlichen Auftritt der „Revolutionären Volksarmee“ (EPR) ist das Rätselraten über den vermeintlichen Guerillanachwuchs groß. Handelt es sich bei den maskierten Kämpfern um Provokateure oder Paramilitärs, wie manche politische Beobachter in der Hauptstadt vermuten? Oder sind es doch Guerilleros, die nun den bewaffneten Kampf auch in den Bundesstaat Guerrero tragen wollen?

Die EPR selbst gibt sich wortkarg. Bei einem Mini-Interview hatte ein „Major Emiliano“ den aufgescheuchten Reportern lediglich knapp mitgeteilt, die Gruppe habe sich „vor etwas mehr als einem Jahr“ gegründet, da man nicht länger bereit sei, die „Unterdrückung und Ausbeutung“ zu ertragen. In einem ersten Kommuniqué wurde weiterhin klargestellt, daß man bis jetzt keine „Kriegserklärung gegen die Zentralregierung“ ausgesprochen habe und die Aktionen vielmehr als „bewaffnete Propaganda“ zu verstehen seien. – „Hier gibt es keine Guerilleros“, urteilt dagegen ein militärischer Befehlshaber über das Geschehen im Gebirge. „Die sich da oben rumtreiben, sind nur ein Haufen Faulpelze.“ Auch Innenminister Emilio Chauyeffet meint, die Lage sei „völlig unter Kontrolle“. Es gebe keinerlei Grund zur Annahme, daß es sich bei den Maskierten um etwas anderes als „gewöhnliche Delinquenten“ handele. Ganz ähnlich hatte sich die Regierung freilich im Mai 1993 geäußert, als sich im Bundesstaat Chiapas die Zapatistenguerilla EZLN gruppierte.

Außerdem sprechen die offiziellen Truppenbewegungen eine andere Sprache. Derzeit sind nach unabhängigen Schätzungen 12 Bataillone mit jeweils 600 Männern im Konfliktgebiet stationiert. Allein in Aguas Blancas – im Juni 1995 Schauplatz des Bauern-Massakers – haben rund 500 Soldaten ihre Zelte aufgeschlagen. Reporter und Menschenrechtsaktivisten berichten seither von minutiösen Straßenkontrollen und Hausdurchsuchungen, von Panzerwagen und tief fliegenden Hubschraubern. Die Gemeinde Tepetixtla sei schon seit Wochen von der Armee „faktisch belagert“.

Eben diese Gemeinde ist eine Hochburg der OCSS, der größten und militantesten Campesino-Organisation in Guerrero. Sie leidet besonders unter der militärischen Repression. Schon wenige Stunden nach dem Auftauchen der mysteriösen Truppe hatten Armeeinheiten begonnen, die Sierra nach „subversiven Elementen“ zu durchkämmen und es dabei vor allem auf Mitglieder der unabhängigen Bauernbewegung abgesehen. Rund 50 OCSS-Aktivisten wurden allein in den ersten Tagen verhaftet – obwohl sich die Bauernorganisation sofort von der vermeintlichen Guerilla distanziert und ihren „legalen Charakter“ betont hatte.

Auch die ersten „Fahndungserfolge“ der militärischen Suchaktionen, bei denen bislang acht mutmaßliche EPR-Mitglieder festgenommen wurden, erscheinen bei näherer Betrachtung suspekt. Vier Inhaftierte sollen nach Polizeiangaben am 9. Juli in der Nähe von Aguas Blancas gefaßt worden sein und ein Geständnis über ihre Mitgliedschaft in der EPR abgelegt haben: Ausgerechnet der Vorsitzende der zivilen Oppositionspartei PRD habe sie für 2.000 Pesos angeheuert.

Die Verhafteten aber wurden nachweislich mit Folterungen zu ihren Aussagen gezwungen. In Anwesenheit von Menschenrechtsvertretern haben sie mittlerweile richtiggestellt, daß sie nicht schwerbewaffnet in den Bergen, sondern an einer Bushaltestelle verhaftet wurden. Die übrigen vier mutmaßlichen EPRler allerdings bleiben bei ihrem „Geständnis“. Sie seien von einem gewissen Capitán Anibal für die Guerilla rekrutiert worden.

Als vermeintliches Oberhaupt gaben sie übereinstimmend den OCSS-Führer Benigno Guzman an. Über die politischen Hintergründe der Organisation wußten sie allerdings „gar nichts“ zu sagen, obwohl sie bei ihrer Festnahme nach Polizeiangaben neben Waffen und Munitionsvorräten auch „subversive Philosphie“ bei sich getragen haben sollen. Die EPR hat inzwischen in einem weiteren Kommuniqué jede Verbindung mit den Verhafteten bestritten. Das Munitionslager, das Armeesoldaten am vergangenen Wochenende in einer Höhle entdeckten, wird in der Erklärung aber als Eigentum der EPR anerkannt.

Indes ist die Zapatistenguerilla EZLN in Chiapas zu ihren vermeintlichen Kollegen auf Abstand gegangen. Man habe von der Existenz der EPR „nichts gewußt“ und stehe in „keiner Verbindung“ zu ihr. Die EPR müsse sich ihre Legitimität erst noch erkämpfen, sagte Kommandant Marcos gegenüber Journalisten. Ohnehin sei es der EZLN von ihrer Basis streng untersagt, mit anderen klandestinen Gruppen in Kontakt zu treten. „Das sähe dann so aus, als ob wir uns auf den Krieg vorbereiteten und den Dialog nicht ernstnähmen.“

Ungeachtet aller Spekulationen, so der Schriftsteller und Guerrero-Experte Carlos Montemayor gegenüber der taz, sollten die neuen „Revolutionäre“ nicht als militärisches, sondern als „soziales Warnsignal“ gesehen werden. Schließlich sei das verelendete Bergland Guerreros, das schon vor dreißig Jahren der bewaffneten „Armenarmee“ des Dorfschullehrers Lucio Cabañas als Zuflucht gedient hatte, seit jeher ein fruchtbarer Boden für den Aufruhr. Es sei vielmehr erstaunlich, so Montemayor, „daß es in einer solch explosiven Gegend, wo Repression, Marginalisierung und Isolierung herrschen, nur eine einzige Guerilla geben soll.“