■ Mit Tigern auf du und du
: Sterben für Medizin

Berlin (taz) – Dem Sibirischen Tiger geht es im großen Stil an die Knochen. Die Gebeine der Raubkatzen stehen in der traditionellen chinesischen Medizin im Ruf, wahre Wunder zu bewirken. „Wenn die Wilderei und der illegale Heilmittelhandel nicht eingedämmt werden können“, so der Geschäftsführer des World Wide Fund For Nature Deutschland (WWF), Georg Schwede, „überstehen die größten aller Tiger das Jahr 2000 nicht.“

Seit Beginn des Jahrhunderts ist der Gesamtbestand aller Tiger um mehr als 95 Prozent zurückgegangen. Der Sibirische Tiger ist besonders hart betroffen: Nur etwa 200 der bis zu vier Meter langen Katzen haben die kommerzielle Hetzjagd überlebt. Vor allem in den Hauptabnehmerländern China, Japan und Korea blüht der illegale Handel mit Tigerprodukten. Doch auch in Indien wird Lepra mit Tigerfett behandelt. In Laos dienen Tigerkrallen als Beruhigungsmittel. Barthaare sollen gegen Zahnschmerzen, die Nasenhaut gegen Hundebisse, die Zähne gegen Fieber und Tollwut helfen. In der traditionellen chinesischen Medizin sind fast alle Körperteile und Organe des Tigers heiß begehrt.

Zwar ist der Handel mit Tigerprodukten durch das Washingtoner Artenschutzabkommen verboten, die steigende Nachfrage und ein immer geringer werdendes Angebot lassen die Preise jedoch in die Höhe schnellen. Die Händlerprofite sind inzwischen mit denen im Kokainhandel vergleichbar. Alleine Südkorea importierte 1993 Tigerknochen im Äquivalent von 300 getöten Tieren. Das entspricht fünf Prozent des geschätzten weltweiten Restbestands.

Der illegale Heilmittelhandel ist jedoch kein ausschließlich asiatisches Phänomen. Das weltweit organisierte Multimillionen-Dollar-Geschäft floriert auch in Deutschland. Bei einer bundesweiten Razzia in asiatischen Geschäften haben Zollbehörden kürzlich alleine in Hamburg rund 5.300 illegal eingeführte Pflanzen- und Tierprodukte beschlagnahmt. Der WWF hat in diesem Zusammenhang ein Handbuch entwickelt, das deutschen Zöllnern die Identifizierung von Medikamenten aus geschützten Tieren und Pflanzen erleichtern soll.

Damit bis zur Jahrtausendwende nicht auch die letzten Tiger in asiatischen Apothekenmörsern enden, unterstützt die Artenschutzorganisation in Rußland den Aufbau und das Training von speziellen Anti- Wilderer-Brigaden. Bis 1997 werden Einheimische außerdem die Tigerbestände vollständig erfassen. Darüber hinaus sollen in den nächsten drei Jahren mehrere Schutzgebiete mit insgesamt 18.000 Quadratkilometern Fläche ausgewiesen werden. Michael Obert