Im dichten Pflege-Dschungel

■ Bremer Versorgungsnetz stellt individuelles Pflegekonzept auf die Beine

as Versorgungsnetz für pflegebedürftige Menschen wurde vor rund einem Jahr in Bremen aus der Taufe gehoben. Frau der ersten Stunde und jetzige Netzkoordinatorin ist Margitta Steuer. Die gelernte Krankenschwester hat lange Jahre als Ausbilderin im Krankenpflegebereich gearbeitet. Wir wollten von ihr wissen, was es mit dem Pflegenetz in Bremen auf sich hat

taz: In Bremen gibt es mittlerweile rund 100 Pflegedienste. Bei dieser großen Auswahl findet sich kaum einer zurecht. Wie kann das Versorgungsnetz da helfen?

Margitta Steuer, Versor-gungsnetz-Koordinatorin: Das Netz soll für Patienten eine Rundumversorgung auf die Beine stellen, das ist der Grundgedanke. Wir kooperieren mittlerweile mit 14 privaten Pflegediensten. Unsere Kooperationspartner müssen mittelständische Unternehmen sein und dürfen nicht mehr als 50 Patienten versorgen. Wenn ich Patienten vermitteln will, will ich mit der verantwortlichen Person sprechen und nicht mit der Vermittlung, der Vermittlung, der Vermittlung.

Jede BremerIn, die entweder pflegebedürftige Angehörige hat oder selbst Hilfe braucht, kann also zu Ihnen kommen?

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Es ruft mich ein Mann an, der eine Tochter hat. Sie ist 36 Jahre alt, alleinerziehend und hat einen 7jährigen Sohn. Sie ist zweimal am Gehirn operiert worden, halbseitig gelähmt und kann nicht mehr sprechen. Sie liegt jetzt in einer Rehabilitationsklinik und soll bald entlassen werden. So einen Fall kriege ich auf den Tisch.

Und sie beraten diesen Mann kostenlos?

Ja. Alle Pflegedienste zahlen einen monatlichen Beitrag und so können wir das Netz finanzieren. Ich suche also zuerst einen Hausarzt und dann einen Pflegedienst, der sich in all diesen Dingen gut ausgekennt. Außerdem muß eine Haushalts- und Erziehungshilfe für das Kind gefunden werden und Therapeuten für die junge Frau. Dann gucken wir uns die Wohnung an: Müssen Haltegriffe angebracht werden, hat sie Schwellen. Wenn all diese Dinge geklärt sind, rufe ich die Klinik an und die Frau kann entlassen werden: die Rundumversorgung steht.

Rundumversorgung bedeutet also, daß das Versorgungsnetz mit ganz unterschiedlichen Partnern koooperiert.

Wir arbeiten mit Apotheken, Menübringdiensten, und Frisören zusammen, die auch ins Hasu kommen. Oder mit Schustern und Schuhverkäufern, wenn jemand zum Beispiel Prothesenträger ist. Im Grunde ist das Netz mit den Anforderungen gewachsen, die an uns gestellt wurden. Außerdem sind die einzelnen Pflegedienste auf ganz bestimmte Bereiche spezialisiert.

Pflegedienst ist also nicht gleich Pflegedienst.

Genau. Alle haben ihr eigenes Profil. Wir haben zum Beispiel einen, der vor allem psychisch kranke Menschen zuhause betreut. Ein anderer versteht sich als Entlastung für pflegende Angehörige, wieder andere sind auf ganz bestimmte Krankheitsbilder spezialisiert.

Die Pflegeversicherung soll häusliche Pflege fördern, wird da nicht ein großes Stück Verantwortung auf Familien übertragen?

Die Patienten sind sehr glücklich, zuhause zu sein. Natürlich kommt auf die Angehörigen da einiges zu. Aber wenn man überlegt, wie Alte und Kranke in den 70er Jahren immer mehr ausgegrenzt wurden, war klar, daß es so nicht weitergehen konnte. Natürlich werden dadurch nicht alle Probleme auf einmal gelöst. Aber die Familien sind schwierigen Fällen auch nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Diese können jederzeit in einem Kurz- oder Langzeitpflegeheim untergebracht werden.

Nicht nur ehemalige Krankenhauspatienten können zuhause von Pflegediensten versorgt werden – auch alte Menschen, die lieber zuhause in den eigenen vier Wänden bleiben wollen. Wie können sich Familienangehörige um so eine Versorgung bemühen?

Ich würde den Angehörigen zunächst raten, mit dem Hausarzt zu besprechen, ob der alte Mensch sofort Hilfe braucht. Wenn er eigentlich ins Krankenhaus müßte, kann der Arzt eine Verordnung ausstellen, daß ein Krankenhausaufenthalt vermieden werden sollte. Das muß die Krankenkasse dann genehmigen. Für vier bis acht Wochen ist die häusliche Pflege dann gesichert. Wenn sich der Zustand des alten Menschen nicht verbessert, kann ein Antrag auf Pflegeversicherung gestellt werden. Dann kommt ein Gutachter vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen und legt die Pflegestufe fest.

Mit der Pflegeversicherung würden drei unterschiedliche Pflegestufen eingeführt, was bedeuten sie eigentlich?

Man sagt: zunächst müssen Patienten mindestens ein halbes Jahr pflegebedürftig sein. In Pflegestufe 1 müssen sie erheblich, in Stufe 2 schwer pflegebedürftig und in Stufe 3 schwerst pflegebedürftig sein. In Stufe 3 würde ein Patient zum Beispiel rund fünf Stunden Pflege pro Tag bewilligt bekommen. In Stufe 1 schaut der Pflegedienst täglich für eine dreiviertel Stunde nach dem Rechten.

Viele Familien wissen gar nicht, daß sie überhaupt häusliche Pflege für die alte Großmutter bei den Krankenkassen beantragen können. Sie denken: Dann sagen die vom Amt, die Töchter können sie doch auch pflegen.

Das stimmt so nicht. Wenn zum Beispiel beide Töchter berufstätig sind und Kinder haben, können sie auf jeden Fall Sachleistungen bekommen. Sachleistung heißt: Die Krankenkasse würde einen Pflegedienst bezahlen, der dann täglich ins Haus kommt. Es können aber auch Geldleistungen beantragt werden, die dann an andere wie z.B. Nachbarn oder entfernte Angehörige ausgezahlt werden, das sind zwischen 750 und 1600 Mark pro Monat. Oder man kombiniert beides miteinander.

Die Pflegedienste betreuen auch Patienten zuhause bis in den Tod. Warum meinen Sie, ist das Hospiz-Haus gescheitert?

Der Gedanke, in ein fremdes Haus zu gehen, um zu sterben, hört sich für viele sehr klamm an. Obwohl die Hospizbewegung eine gute Sache ist. Doch für ein solches Projekt scheint mir die Zeit in Bremen noch nicht reif zu sein. Viele Bremer wissen noch zuwenig darüber. Fragen: Katja Ubben