Schloßherr sperrt Gemeinde aus

■ Ein Berliner Architekt kauft das Schloß in Gusow und nervt die Dorfbewohner. Die kostenlose Kollektivkultur hat ein Ende: Sport und Tanz finden jetzt in der Turnhalle statt

Eigentlich hatte Architekt Peter E. für seine Wochenendausflüge nur ein „kleines Ferienhäuschen“ gesucht, einen alten Gutshof oder einen verlassenen Bauernhof. Doch dann wurde es ein bißchen größer: Nachdem der gebürtige Berliner über zwei Jahre vergeblich Annoncen gewälzt, mit der Treuhand und Gemeindeverwaltungen in Brandenburg verhandelt hatte, ersteigerte er vor knapp vier Jahren keine gewöhnliche Datsche, sondern für drei Millionen Mark gleich ein ganzes Schloß.

Der „Kasten“, wie Peter E. das 2.000 Quadratmeter große, oft umgebaute Anwesen nennt, liegt in Gusow, am Rande des Oderbruchs und der Seelower Höhen, und blickt auf eine traditionsreiche Vergangenheit bis zum Dreißigjährigen Krieg zurück. Theodor Fontane widmete Gusow in seinem Roman „Vor dem Sturm“ ein ganzes Kapitel. Heute ist von der einstigen Pracht nur wenig übriggeblieben: Die graue, bröcklige Fassade ist zwar mittlerweile notdürftig mit „toskanaroter“ Farbe übertüncht, innen die Wände mit Rauhfasertapete beklebt, das rissige Linoleum mit grauem Teppich verdeckt. Doch der Garten ist verlassen und verwildert, die einst akkurat angelegten Wege mit Unkraut übersät.

Zu DDR-Zeiten war das anders: Zwar wurde das Schloß nicht besonders gepflegt, jedoch war das gesamte Grundstück der kulturelle Mittelpunkt des knapp 1.000 EinwohnerInnen zählenden Dorfes: Das Schloß wurde als Jugendklub, als Schulhort und Gaststätte genutzt, in der hallenartigen Küche wurden bis zu 700 Landarbeiter verpflegt. „Wir haben unser Schloß geliebt“, erzählt eine alte Gusowerin etwas wehmütig. Doch als Peter E. – seinen vollen Namen möchte er aus Angst vor Überfällen nicht nennen – Schloßherr wird, hat die kostenlose Kollektivkultur ein jähes Ende: Der Fußballplatz im Schloßgarten darf vom Dorfverein nur noch genutzt werden, wenn entweder 500 Mark Miete monatlich gezahlt oder Rasen und die umliegenden Wege regelmäßig gemäht werden. Die Vereinsmitglieder müssen – denn die Miete konnte keiner zahlen – auch noch ihre eigene Theaterbühne im Park abbauen, hier fand zu DDR-Zeiten der über Gusow hinaus beliebte Dorftanz statt. Peter E. ließ Baumstämme an einige Eingänge des Parks legen, damit Jugendliche auf Mopeds und Fahrrädern den Park nicht mehr als Rennstrecke benutzen.

Ergebnis: Die GusowerInnen regen sich über den Wessi aus Berlin natürlich mächtig auf. Gerüchte kursieren: illegal beschäftigte Polen, die mysteriöse Entführung des Schloßbesitzers in Berlin. Da hilft es auch nicht, daß Peter E. seine drakonischen „Umgestaltungsmaßnahmen“ mit Denkmalschutz und Kaufvertrag erklärt und als „bürgernahe“ Maßnahme Mitglied bei der freiwilligen Feuerwehr wird: Das Schloß wird fortan gemieden.

Und der warme Geldregen – den Kaufpreis erhielt als Eigentümerin die Gemeinde – macht Gusow zwar zu einem der reichsten Dörfer in Brandenburg, doch das Schloß als multifunktionales Nutzobjekt fehlt ganz einfach: Der Dorftanz findet künftig in der Turnhalle statt. Mittlerweile ist jedoch ein neuer Sportplatz gebaut worden, vom Erlös des Schlosses wurden Wasserleitungen gelegt. „Die Kinderkrankheiten sind ausgeräumt“, sagt die ehrenamtliche Bürgermeisterin Doris Lenz. Für die EinwohnerInnen ist Peter E. mittlerweile kein Thema mehr, doch richtig warm werden die EinwohnerInnen nicht mit dem Berliner.

Den plagen auch vier Jahre nach dem Erwerb des Schlosses die Geldsorgen. „Pure Verzweiflung“ überkam ihm, als die Bank ihm einen Kredit verweigerte, keinen Pfennig an Fördermitteln habe er bisher gesehen. Deshalb kostet der Eintritt ins Schloß vier Mark fünfzig: Im Erdgeschoß des alten Gemäuers wird die Geschichte Brandenburg in einem Zinnfigurenmuseum gezeigt. Weiterhin gibt es ein Restaurant und einige Zimmer zum Übernachten. Veranstaltungen und Tagungen zur Geschichte des Landstrichs werden ebenfalls angeboten. Immerhin 30.000 BesucherInnen haben das Schloß und das Zinnfigurenmuseum in den vergangenen drei Jahren besucht, doch Peter E. kommt trotzdem nicht ins Schwärmen: „95 Prozent der Arbeit ist blutige Arbeit“, sagt er trocken. Über das Verhältnis zu den GusowerInnen redet er nicht gerne, schweift immer wieder ab und preist lieber die Zinnsoldaten und seine wertvolle Möbelsammlung an, die jetzt endlich einen Platz gefunden hat. Zwar nicht in einer Datsche, dafür aber standesgemäß in einen Schloß. Julia Naumann