■ Querspalte
: Europa rückt zusammen

Endlich eine gute Nachricht aus den neuen Bundesländern, gut in medizinischer, mehr aber noch in völkerpsychologischer Hinsicht. Kaum noch Tollwut im Osten Deutschlands! Sachsen-Anhalt, in politischer Hinsicht ohnehin avantgardistisch, konnte durch den Mund von Guntram Lesch, dem hervorragenden, obersten Anti-Tollwut-Spezialisten des zuständigen Ministeriums, stolz vermelden: „Wir sind als erstes Bundesland überhaupt ein kontrolliert tollwutfreies Territorium.“

Den Richtlinien der Europäischen Union folgend, hat man sich entschlossen, nicht an Symptomen herumzudoktern, sondern das Übel bei der Wurzel anzupacken. Mit Hilfe modernster Technik, nämlich mittels Flugzeugabwurf, wurden mit Anti-Tollwut-Serum geimpfte Köder in so großer Menge ausgestreut, daß sich kein einziger der im Territorium vorfindlichen Füchse, bekanntlich die Hauptüberträger der Krankheit, der Prophylaxe entziehen konnte.

Ingeniös lösten die Behörden auch das Problem der Migration, das heißt des ständigen, unkontrollierten Zuzugs von Füchsen aus dem östlich angrenzenden Nicht-EG-Gebiet. Während unter Normalbedingungen Gelder aus dem „Interreg II“-Crossborder-Programm der Europäischen Union entgegen ihrer Namensgebung nur für Projekte verwandt werden dürfen, die im Bereich der EU angesiedelt sind, setzte sich Brüssel jetzt über diese engstirnige Praxis hinweg.

Zu Lasten der EU-Kasse, sie trug mit 3,5 Millionen Mark 50 Prozent der Kosten, wurde ein 100 Kilometer breiter Grenzstreifen in Polen und der Tschechischen Republik flächendeckend mit Ködern versorgt.

Diese völkerverbindende Maßnahme hat nicht nur ideelle, sondern auch materielle Konsequenzen: Sie fördert die Kostendämpfung bei den Krankenkassen auch bei den östlichen Anrainerstaaten der EU. Denn welcher Bauer im Böhmerwald braucht noch die Tollwutimpfung, wenn der Hofhund nicht mehr die Hand beißt, die ihn füttert? Christian Semler