■ Der Hungerstreik läßt die türkische Regierung kalt: Sechs Tote – kein Grund zur Panik!
Der Tod ist in den türkischen Gefängnissen eingezogen. Täglich sterben Menschen in dem Hungerstreik der politischen Gefangenen. Über 1.500 Gefangene wehren sich mit dem Einsatz ihres Lebens gegen die Verschlechterung der Haftbedingungen, die der Staat verfügt hat. Obwohl die Forderungen der Gefangenen nur allzu verständlich sind, lehnt die Regierung jeden Dialog ab. Zehntausende Menschen bangen verzweifelt um ihre Familienangehörigen. Ihrem Protest wird mit Polizeiknüppeln begegnet. Alte Mütter werden getreten und in Polizeizellen abgeführt. Der türkische Staat gestattet nicht einmal das Recht auf Beerdigung. Polizei entführt die Särge der Gestorbenen. All das passiert nicht heimlich. Tag für Tag bekommen die türkischen Bürger die entsprechenden Fernsehbilder in die Wohnstube geliefert.
Solche Verhältnisse würden jedes demokratisch verfaßte Gemeinwesen erschüttern. Ein Justizminister, der sagt, daß „die Gefangenen Lebensmittel horten und ihren Magen füllen“, könnte nach sechs Toten nicht sein Amt weiterführen. Doch in der Türkei existiert kein demokratisches Gemeinwesen. Deshalb bricht auch keine politische Krise aus. Tote haben noch nie beeindruckt. Über 20.000 tote Menschen in den kurdischen Provinzen waren schließlich auch kein Grund, den Kurden Rechte einzuräumen. Auch Tausende Morde, die staatlich gedeckte Todesschwadronen verantworten, haben noch nie zum Sturz eines türkischen Innenministers geführt.
Es sind wenige, die aufbegehren. Intellektuelle oder Familienangehörige, denen es um ihre sterbenden Kinder oder Geschwister geht. Oder die Jugendlichen in den Ghettos, die Brandsätze werfen. Hunderttausende werden nicht auf die Straße gehen. Und die kleine aufmuckende Minderheit wird der Staat auch noch zum Schweigen bringen. Die Mehrheit der Türken mag Mitleid mit den Sterbenden in den Gefängnissen fühlen. Doch das ist noch lange kein Grund, sich mit dem übermächtigen Staat anzulegen. Die Erfahrung lehrt: Schweigen ist Gold und Garantie, nicht in einer Polizeiwache gefoltert zu werden. So wandelt sich einsame Verzweiflung still und heimlich zu ziellosem Haß, der irgendwann in ferner Zukunft ein böses Feuer entfachen wird. Ömer Erzeren
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen